Die Szene könnte einem Science-Fiction-Film entstammen: Eine lange Wand mit einigen Dutzend Glaskästen. Auf einem erscheint plötzlich der eigene Name. Ein Bezahl-Code über den Touchscreen eingegeben und der Kasten öffnet sich. Dort wartet das vor wenigen Minuten bestellte Essen, das in der Küche gerade mittels Robotertechnik frisch zubereitet wurde. Willkommen in der Zukunft!
Slow Food, also gesundes, hochwertiges Essen mit saisonalen und regional bezogenen Zutaten, innerhalb von wenigen Minuten an den Gast zu bringen, das schien bislang die Quadratur des Kreises zu sein. In San Francisco und Berlin jedoch wird genau dies mittels digitaler Technik möglich. Eatsa und Data Kitchen heißen die beiden Health-Food-Gastronomie-Konzepte, bei denen speziell entwickelte Soft- und Hardware die laufenden Prozesse mitbestimmen und beschleunigen. Und hier schlummert, glaubt man den Machern, noch eine ganze Menge Potenzial.
Mit Eatsa, dem Vorreiter in Sachen ‚Fast Health Food Restaurant‘, gingen 2015 Tim Young und Scott Drummond an den Start, und im techaffinen San Francisco schlug die Idee schlug sofort ein. Bei Eatsa wählt der Gast über eine App oder stationäre Ipads im Restaurant, den sogenannten Kiosks, sein Wunschgericht aus einem Menü von Health Food Bowls aus. Dies geschieht ohne Zutun von Servicepersonal. Dennoch weiß der Kunde dank der auf dem Ipad-Screen eingeblendeten Informationen nicht nur, welche Zutaten sein Essen enthält, sondern auch wie viele Kalorien und Proteine er gleich zu sich nehmen wird.
Wählbare Zutaten für die Bowls sind beispielsweise Tofu, Avocado, Hummus und Falafel oder verschiedenste Gemüse, verfeinert unter anderem mit Thai- oder Madras-Curry-Soße. Aber auch Nichtvegetarisches wie das Bulgogi Beef, Citrus Pork oder Wonton Chicken kommt auf Wunsch mit in die Schale. Immer dabei ist Quinoa oder Reis. In der angrenzenden, aber nicht einsehbaren Küche wird das bestellte Gericht superfrisch zubereitet – mithilfe von Robotertechnik. Nur Augenblicke später landet die Mahlzeit in einer der Boxen der Foodwall. Sie teilt Küche und Restaurant und ist beidseitig zugänglich. Auf der dem Restaurant zugewandten Seite der Foodwall erscheint dann der Name des Gastes auf einem Touchscreen, sein vorab digital bezahltes Essen kann dieser dann selbst entnehmen. Das alles ist eine Sache von Minuten. Wartezeitenwie in den Anfangsmonaten waren auf den Hype zurückzuführen, den Tim und Scott in ihrer Heimatstadt ausgelöst hatten.
Auch in Berlin ist man in der neuen digitalen Fast-Slow-Food-Zukunft angekommen. Im Dezember 2016 eröffnete hier am Hackeschen Markt Data Kitchen. Federführend ist kein Geringerer als Heinz ‚Cookie‘ Gindullis, der auch das vegetarische Ein-Sterne-Restaurant Cookies Cream, das legerere Crackers und die Lunch-Location Chipps betreibt. Die Data Kitchen ist Gindullis’ jüngstes Projekt und wurde in Zusammenarbeit mit dem IT-Unternehmen SAP konzipiert. Hinter dem Herd steht das Team von Küchenchef Alexander Brosin.
Außerdem an Bord: Christian Hamerle, der als Gastgeber und Operation Manager fungiert. Der gebürtige Österreicher war zuvor fünf Jahre lang Restaurantleiter bei Sarah Wiener und erklärt uns im Gespräch die Besonderheiten von Data Kitchen, die Gemeinsamkeiten mit den Kaliforniern von Eatsa, aber auch, was die beiden Pioniere unterscheidet.
KTCHNrebel: Christian, bei euch geht es um die Verkürzung von Prozessen, also auch darum, schnell zu sein. Wie würdest du eure Mission in wenigen Worten zusammenfassen?
Christian Hamerle: Ich sag es mal so: Der Berliner hat im Schnitt 23 Minuten Mittagspause. Wir schenken ihm Zeit. Die Zeit nämlich, ein hochwertiges Essen in Ruhe zu genießen.
KTCHNrebel: Wie viel Zeit liegt bei euch zwischen Bestellung und Abholung?
Christian Hamerle: Über unsere App kann bis 30 Minuten vor Abholung bestellt werden. Daneben gibt es die Möglichkeit, hereinzukommen und spontan zu bestellen. Dann beträgt die Wartezeit maximal fünfzehn Minuten.
KTCHNrebel: Und wie wird das Timing an eurer Foodwall gesteuert? Ihr habt dort 20 Fächer.
Christian Hamerle: Ja, und das deckt sich mit unserer Kapazität. Mit vier Leuten in der Küche sind wir auf 25 Bestellungen pro Viertelstunde limitiert. So kommen wir mit den 20 Boxen unserer Foodwall gut aus.
KTCHNrebel: Wie viele Gäste habt ihr pro Stunde?
Christian Hamerle: In den Stoßzeiten, also zwischen halb eins und halb drei, haben wir stündlich zwischen 80 und 100 Gäste.
KTCHNrebel: Was geschieht, wenn der Kunde die Information nicht bekommt, dass sein Essen bereitsteht? Oder wenn er sich verspätet?
Christian Hamerle: Wenn ein Essen nicht abgeholt wird oder jemand zu spät kommt, dann nehmen wir die Mahlzeit nach fünf Minuten wieder aus dem Fach in der Foodwall heraus und stellen sie unter unsere Wärmebrücke. Der Kunde bekommt dann eine Push-Nachricht gesendet, damit er sich direkt ans Personal wendet. Aber du wirst lachen: Unsere Gäste verspäten sich nur in 0,1 Prozent der Fälle. Es ist ein bisschen wie am Flughafen: Wenn es darum geht, schaffen es so gut wie alle, pünktlich zu sein.
KTCHNrebel: Die Software, die eurem Konzept zugrunde liegt, habt ihr gemeinsam mit SAP entwickelt. Wie lange hat das gedauert?
Christian Hamerle: Darüber sind etwa sechs Monate ins Land gegangen. Beteiligt waren auch die Internet-Agentur CosmoCode und unsere Art Direktorin Tina Steffan.
KTCHNrebel: Kommen auch Menschen zu euch, die nicht technikaffin sind?
Christian Hamerle: Ja. Erst neulich hatten wir eine 90-jährige Dame zu Gast. Da sie kein Smartphone besaß, haben wir die Bestellung gemeinsam mit ihr über das Ipad aufgegeben, das wir speziell für solche Fälle bereithalten. Davon gibt es aber nur eins. Unser Konzept ist im Gegensatz zu dem von Eatsa nicht darauf ausgelegt, vor Ort über das Ipad zu bestellen. Das sollte die Ausnahme bleiben.
KTCHNrebel: Dennoch habt ihr euch von Eatsa inspirieren lassen, oder?
Christian Hamerle: Ja, wir haben uns das Konzept von Eatsa angesehen. Sie sind Pioniere wie wir, dennoch gibt es einige entscheidende Unterschiede. Wir haben uns beispielsweise bewusst gegen die sogenannten Kiosks entschieden, in denen die Kunden auf dem Ipad ihre Speisen auswählen. Europa hat eine alte Service-Kultur, daher ist es uns wichtig, dass unsere Gäste auch von einem Gastgeber persönlich empfangen werden. Anders als Eatsa arbeiten wir auch nicht mit einem Touchscreen vor der Foodwall. Unsere Fächer lassen sich über einen Link in der Benachrichtigungs-Mail öffnen. Und auch hinter der Wand, also in der Küche, geht es bei uns anders zu. Wir arbeiten hier nicht mit Robotertechnik. Bei uns ist das Kochen noch eine analoge Angelegenheit.
KTCHNrebel: Wie würdest du die Philosophie der Data Kitchen beschreiben?
Christian Hamerle: Alex Brosin kommt aus der Küche von Sternekoch Michael Hoffmann, in der sich vieles um Gemüse dreht. Auch bei uns legt er einen Schwerpunkt auf Gemüse, regionale, kleinere Produzenten und Saisonalität. Die Mischung ist bunt, aber unser Ansatz besteht darin, die nordostdeutsche Küche etwas zu entstauben. Bisweilen nennen wir es ‚Neue brandenburgische Küche‘.
KTCHNrebel: Wie oft wechseln die Speisen?
Christian Hamerle: Täglich. Wir bieten immer neue Mittagsmenüs. Da wechseln sich Valenciano mit Polenta und Kerbelrübe mit Käsepätzle und Sweet Dumplings ab. 80 Prozent der Speisen sind vegan oder vegetarisch.
KTCHNrebel: Bei Eatsa sind Nährwerte und Kalorienangaben überall angegeben. Wie sieht das bei euch aus?
Christian Hamerle: Bis jetzt fügen wir noch keine Nährwertangaben bei, aber im nächsten Schritt wäre das durchaus denkbar. Wir haben gerade eine Speisekarte entwickelt, die auf der App rund um die Uhr einsehbar ist.
KTCHNrebel: Und wie verfahrt ihr mit den Daten eurer Kunden – werden sie gespeichert?
Christian Hamerle: Unsere Eröffnung fand in etwa zeitgleich mit dem Inkrafttreten der neuen Datenschutz-Grundverordnung statt, die ich sehr begrüße. Wir wissen nur, welcher Gast wie oft bei uns war und was er bestellt hat. Darüber hinaus haben wir keinen Einblick. Die meisten Gäste melden sich bei uns mit einem Nickname an, der dann ja auch auf der Foodwall erscheint, wenn ihr Essen fertig ist. Wenn sie einen Bewirtungsbeleg wünschen, was tatsächlich meist der Fall ist, hinterlassen sie uns noch ihre E-Mail-Adresse.
KTCHNrebel: Was sind die Schwierigkeiten bei der Umsetzung?
Christian Hamerle: Wir sind ein Prototyp, da ist es klar, dass wir das Konzept immer weiterentwickeln. Aber gravierende Schwierigkeiten gab es eigentlich nicht. Einmal ist der Strom ausgefallen, da mussten wir dann wieder ganz analog arbeiten.
KTCHNrebel: Wie viele Kräfte arbeiten bei euch im Service?
Christian Hamerle: Es gibt keinen Kellner, dafür aber zwei oder drei sogenannte Gastgeber. Deren Aufgabe ist es, die Kunden zu empfangen, Fragen zu beantworten und für eine warme, angenehme Atmosphäre zu sorgen. Darüber hinaus beschäftigen wir einen Barista.
KTCHNrebel: Plant ihr einen Roll-out?
Christian Hamerle: Dazu gibt es bislang keine Pläne, die spruchreif wären. Es gäbe ja zwei Möglichkeiten: entweder man fährt ein Franchise-Konzept, oder man gibt die Software an andere Restaurants weiter, um das Prinzip des digitalen Restaurants zu verbreiten.
KTCHNrebel: Ausgezeichnet worden seid ihr ja bereits.
Christian Hamerle: 2017 haben wir den Preis des Fachmagazins Fizzz im Bereich Trendkonzept des Jahres gewonnen. Der Gault Millau hat uns 12.5 Punkte verliehen. Und beim Leaders Club Award waren wir unter den letzten Vier.
KTCHNrebel: Herzlichen Glückwunsch! Das ist ja ein gutes Startkapital. Wo seht ihr eure Zukunft?
Christian Hamerle: Die Softwareentwicklung birgt noch große Möglichkeiten und Chancen. Unsere Daten liefern wertvolle Informationen für einen gezielteren Einkauf. Mit einem ausgefeilten und gut funktionierenden Warenwirtschaftssystem könnte nicht nur verstärkt mit kleinen Betrieben gearbeitet werden, auch die Gesamtkosten würden sinken. Das wäre für alle Beteiligten von Vorteil, natürlich auch für den Gast.
KTCHNrebel: Was steht noch auf eurer Agenda?
Christian Hamerle: Weitere Kunden zu gewinnen. Hier in der Gegend gibt es viele Unternehmen, die keine Kantine haben. Mit ihnen planen wir in Zukunft noch enger zusammenzuarbeiten.