Benedikt Bösel beginnt seine Vorträge gerne damit, dass er früher als Banker gearbeitet hat. Heute ist er Biobauer in Alt Madlitz, Brandenburg. Das Einzige, was von damals geblieben ist, ist die Gelfrisur, die er meist unter einer umgedrehten Baseballkappe versteckt. Es braucht wohl drastische Veränderungen, wenn man etwas bewegen möchte. Vor allem, wenn die Voraussetzungen denkbar ungünstig sind.
Bösels 3.000 Hektar großer land- und forstwirtschaftlicher Betrieb Gut&Bösel liegt im trockensten Eck Deutschlands. Und trotzdem sieht der Biobauer in der Art, wie Land genutzt wird, die Lösung vieler Probleme unserer Zeit, angefangen vom Klimawandel über den Verlust der Biodiversität bis hin zu Hunger und Chancenungleichheit. Er selbst hat sich der regenerativen Landwirtschaft verschrieben und zählt zu den Pionieren auf diesem Feld. Mittlerweile beliefert er über die Plattform 2020 auch zahlreiche Gastronomiebetriebe mit seinen Produkten.
Was ist Regenerative Food?
Doch was steckt hinter dieser speziellen Form der Landwirtschaft? Wie kann man damit den Planeten retten? Und was hat das alles mit der Gastronomie zu tun? Regenerative Food, also die Produktion von Lebensmitteln nach Kriterien der regenerativen Landwirtschaft, ist nicht irgendeine Modeerscheinung, sondern der jüngste Trend, den Hanni Rützler in ihrem vielbeachteten Food Report 2024 beschreibt. Und vielleicht mit der vielversprechendste im Kampf gegen den Klimawandel.
„Das Problem ist, dass die Weltbevölkerung wächst, während die Bodenqualität und damit der Anteil an fruchtbarer Erde abnimmt. Um den Klimawandel mit Starkregen und Dürreperioden besser abfedern zu können, braucht es gesunde Böden. Genau darum geht’s bei Regenerative Food“, erklärt die Food-Expertin. Und genau darum sind dringend Lösungen notwendig. Denn laut Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO) könnte die Bodenerosion bis 2050 zu einem Verlust von zehn Prozent der weltweiten Pflanzenproduktion führen.
Ertragreiche, gesunde Böden und Biodiversität als Ziel
Im Gegensatz zu Food Trends wie Plant-based Food oder Veganmania stellt Regenerative Food nicht die Nahrungsmittel, die auf unseren Tellern landen, in den Mittelpunkt, sondern konzentriert sich auf die Art, wie diese produziert werden.
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Es dreht sich also nicht mehr rein darum, sich nachhaltig zu ernähren, um Bestehendes zu bewahren. Dafür sind die Schäden, die durch die Industrialisierung verursacht wurden, bereits zu groß. Ziel ist vielmehr, den Planeten zu „heilen“, indem man den Einfluss der Landwirtschaft auf den Klimawandel minimiert und die Artenvielfalt fördert. Regenerative Landwirtschaft setzt daher auf „organische statt synthetische Düngung, auf eine Fruchtfolge, die Biodiversität fördert, sowie auf Bodendeckung und Verwurzelung“, fasst die Trendforscherin die wichtigsten Maßnahmen zusammen.
Statt wie bisher Ackerböden auszulaugen und große Mengen an CO2 freizusetzen, möchte man das Gegenteil erreichen. Sprich: Der Boden soll sich regenerieren, widerstandsfähiger und (wieder) ertragreicher werden. Und: Es sollen große Mengen an Kohlenstoff im Boden durch den Aufbau von Humus gebunden werden – eine der wirksamsten Maßnahmen für den Klimaschutz.
Regenerative Food: weltweites Interesse steigt
Noch steht der Trend am Anfang, was sich besonders an den fehlenden Standards bemerkbar macht. Deshalb lassen sich die Vorteile für die Umwelt auch noch nicht konkret messen. Mit steigendem Interesse, sowohl in Europa als auch weltweit, schließen sich aber immer mehr Organisationen und Unternehmen auf internationaler Ebene, wie z. B. in der Regenerative Organic Alliance, zusammen, um sinnvolle, regional angepasste Standards zu entwickeln. Ein erster wichtiger Schritt wurde nun mit der Regenerativen Bio-Zertifizierung ROC gesetzt [Ecovia intelligence, 2023].
Um das Thema weiter voranzutreiben, wurden eigene Apps wie Foodroots oder Informationsplattformen wie Regenerative Schweiz und Solify entwickelt. Hier können sich zum einen Landwirte und Kunden vernetzen, zum anderen soll aber auch die breite Öffentlichkeit erreicht werden.
Zudem steigt die Anzahl an landwirtschaftlichen Betrieben wie Gut&Bösel, die regenerative Methoden anwenden. Und auch in den USA wollen Start-ups und Farmer die Landwirtschaft umkrempeln. Will Harris, der in sechster Generation den Familienbetrieb White Oak Pastures in Bluffton, Georgia führt, zählt zu den Pionieren der regenerativen Landwirtschaftsbewegung. Durch die Kooperation mit einem der größten Solarstromproduzenten des Landes ist es ihm gelungen, Weideflächen und Solarkollektoren zu verbinden. Dadurch ist es möglich, Fleisch zu produzieren und trotzdem Kohlenstoff im Boden zu binden und die Artenvielfalt wiederherzustellen.
Boden durch Spende gutmachen
Regenerative Food ist jedoch nicht nur ein vielversprechender Lösungsansatz im Kampf gegen den Klimawandel, „sondern sorgt auch für eine Diversifizierung der von uns verzehrten Pflanzenarten und damit für mehr Abwechslung auf unseren Tellern“, schreibt Hanni Rützler in ihrem Report. Das macht Regenerative Food auch für die Gastronomie interessant. Außerdem wird immer mehr Menschen bewusst, dass Klimaschutz eines der dringlichsten Probleme unserer Zeit geworden ist. Die Gäste wollen daher vermehrt wissen, woher die Produkte und Zutaten stammen und wie sie erzeugt wurden. Können Gastronome glaubhaft darlegen, woher die verarbeiteten Lebensmittel stammen und dass diese regenerativ und nachhaltig erzeugt wurden, verschafft ihnen das womöglich einen Wettbewerbsvorteil.
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Die Initiative Zero Foodprint (ZFP) setzt sich gemeinsam mit der Gastronomie und der Lebensmittelindustrie für gesunde Böden und bessere Lebensmittel ein. Indem sie einen Prozent der Restaurantrechnung spenden, haben Gastronomen die Möglichkeit, einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Die Einnahmen nutzt ZFP, um regionale Landwirte, die bereits regenerative Methoden einsetzen oder dabei sind, den Betrieb auf regenerative Landwirtschaft umzustellen, zu unterstützen. Das tut den Böden gut, dem Klima und unserem Essen.