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Signature Dishes: Die Idee, die alles ändert

Von: Lesezeit: 5 Minuten

So wie ein Werk Schriftsteller weltberühmt machen kann, erlangen Küchenchefs mit ihren „Signature Dishes“ Ruhm und Bekanntheit. Diese fünf einzigartigen Gerichte tragen nicht nur die individuelle Handschrift ihres Chefs, sie haben auch Gourmetgeschichte geschrieben.

Stark vereinfacht könnte man vielleicht auch von Klassikern oder der Spezialität des Hauses sprechen, doch so genannte „Signature Dishes“ sind weitaus mehr. Mehr als nur ein atemberaubender Teller, der lange im Gedächtnis bleibt. In ihnen drückt sich die Herkunft, das Können und die Philosophie von meisterhaften Köchen aus – sie sind ein Abbild ihrer Identität. Sie tragen die unverkennbare Handschrift des Chefkochs. Sorgfältig ausgewählte Zutaten verbinden sich mit innovativen Techniken und erzählen in den allermeisten Fällen eine Geschichte, die weit über den Geschmack hinausgeht.

Signature Dishes sind ein Erlebnis, das alle Sinne anspricht. Was aber macht einen Teller so außergewöhnlich, dass sich Menschen weltweit auch noch Jahre später daran erinnern? Eine beispielhafte Spurensuche in der Welt der Michelin-Sterneköche.

Eckart Witzigmanns Signature Dish: Kalbsbries Rumohr

Wenn ein Gericht auch knapp fünf Jahrzehnte nach seiner Entstehung noch immer auf den Speisekarten der besten Restaurants des Landes steht, ist über seine Universalität und Zeitlosigkeit wohl alles gesagt. Ein solcher Geniestreich ist Eckart Witzigmann, dem weltberühmten Koch und Übervater des deutschen Gourmetwunders, gleich mehrfach gelungen. Doch keine seiner Kreationen ist so bekannt wie das „Kalbsbries Rumohr“, in dem Witzigmann erlesene Zutaten der Haute Cuisine auf überraschende Weise kombiniert.

Eckart Witzigmann's Signature Dish: Kalbsbries Rumohr

Image: Peter Fischer

Verschiedene Versionen existieren von dem Gericht, Kalbsbries ist immer der Hauptdarsteller. Zudem benötigt man schwarzen Trüffel und Gänseleber, Madeira, Champagner und einiges mehr. Witzigmann hat an verschiedener Stelle das Rezept zumindest im Ansatz verraten. Seiner österreichischen Heimat huldigt er, in dem er die Kreation mit einem Blätter- oder Filoteig umhüllt – eine Art Strudel deluxe. Mit dem Titel würdigt er einen frühen Vordenker der guten Küche, Carl Friedrich von Rumohr.

Ideengeber war Ende der 1970er übrigens ein Gourmetkritiker der ersten Stunde, der legendäre Wolfram Siebeck, wie Witzigmann einmal in einem Interview mit dem Magazin „Effilee“ erklärte. Dessen Urteil fiel am Ende so aus, wie ein Koch es sich nicht besser wünschen könnte: „Das war einer jener Geniestreiche, deretwegen die Gourmets zu einem bestimmten Küchenchef pilgern wie Heiligsuchende nach Lourdes.“

Heinz Reitbauer: Saibling im Bienenwachs

Manchmal macht auch nicht das „Was“ ein visionäres Gericht eines Kochs aus, sondern das „Wie“. Ein Signature Dish das hierfür als Beispiel herangezogen werden kann, stammt von einem der besten europäischen Küchenchefs: Heinz Reitbauer aus dem Wiener „Steirereck“. Die Zutaten seines Rezepts klingen zunächst unauffällig: unter anderem zählen Saiblingfilets und Saffran dazu, eine Art Saft von Gelben Rüben, Quittenessig – und Bienenwachs.

Signature Dish von Heinz Reitbauer: Saiblingsfilet im Bienenwachs gegart

Image: Restaurant Steirereck

Und hier beginnt es nun, interessant zu werden. Reitbauer, der sein Restaurant schon vor knapp 20 Jahren von Meer- auf Süßwasserfische umstellte, macht sich seit jeher Gedanken um die Ausgangsbedingungen seiner Zutaten. Die Natur liegt ihm am Herzen, genauso wie die Zusammenhänge hinter der menschlichen Ernährung. 2011, als Reitbauer mit seinem Team das Gericht entwickelte, wollte er die Aufmerksamkeit seines Publikums auf das damals noch relativ unbekannte Bienensterben richten.

Ursprünglich plante er ein Dessert, dem er mit Bienenwachs sanfte Wachs- und Honigaromen zufügen wollte. Doch im Laufe der Rezepterarbeitung wurde schnell klar, dass sich mit Wachs auch Zutaten garen lassen. Der zarte Saibling stellte sich schließlich als optimales Gargut heraus, wie Reitbauer gern erzählt. Die Zubereitung am Tisch ist wahrlich ein Erlebnis: In einer faszinierenden Prozedur gießt der Service das flüssige Wachs aus einer Teekanne in einen Holzrahmen, wo es den Saibling zunächst umschließt, binnen weniger Minuten erkaltet und fest wird. Der elegante Duft, der dabei entsteht, ist kaum zu beschreiben.

Und weil diese innovative Garmethode Bienenwachs in biologischer Qualität benötigt, erreichte Reitbauer sogar mehr als sein ursprüngliches Ziel: Er macht darauf aufmerksam, wie wichtig nachhaltige Landwirtschaft ist – schließlich ist einer der Hauptgründe für das Bienensterben der übermäßige Einsatz von Pestiziden. Ein Signature Dish, das weit über den kulinarischen Genuss hinausgeht.

Gargouillou das Signature Dish von Michel Bras

Der Einfall, so erzählte Frankreichs Kochlegende Michel Bras einmal im Interview, sei ihm beim Joggen gekommen. Er lief durchs Aubrac nahe dem Familienbetrieb „Le Suquet“ und blickte auf eine Wiese, auf der unzählige Gräser, Pflanzen und bunte Blumen im Wind wogten. Begeistert von der Freiheit und dem Leben, das dieses Grasland ausstrahlte, entschied er für sich: „Das möchte ich in einen Teller übersetzen.“

 

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Damit war die Idee geboren, die sein Leben verändern sollte. Anfang der 1980er war das, Bras war noch ein junger Mann, der sich wenige Jahre zuvor mit einem Gemüsemenü schon einen Namen gemacht hatte. Was er nun entwickelte, hatte keinerlei Vorbild in der Genusswelt und war eine radikale Interpretation der Nouvelle Cuisine. Bras arrangierte Blüten, Gemüse und Kräuter zu einem pittoresken Kunstwerk auf dem Teller, das er „Gargouillou“ taufte.

60 bis 80 Kräuter und Gemüsesorten machen das Gericht aus, einiges wächst im Garten hinter dem Restaurant, anderes kommt von nahen Feldern. Was an dieser Komposition zudem besonders ist? Die Jahreszeiten, ja selbst das tägliche Wetter beeinflussen das Gericht – ständig verändert sich die Zusammensetzung. „Nie erschafft man zweimal das Gleiche“, sagt Sebastién Bras, der das Restaurant 2009 zusammen mit seiner Frau von seinem Vater übernahm. „Wir arbeiten jeden Tag an der Balance dieses Gerichts, weshalb kein Raum für Langeweile ist.“ „Gargouillou“, das sowohl in seiner Konzeption als auch in der visuellen Präsentation revolutionär war, beeinflusste die Kochwelt nachhaltig und taucht bis heute in den Restaurants der Welt auf.

Weltberühmt: Martin Berasategui’s Millefeuille mit Aal, Foie Gras und grünem Apfel

Martin Berasategui stammt aus dem Baskenland, der Region Spaniens, die wie kaum eine andere für die Avantgarde der Gourmetküche steht. Auch er hat im Laufe seiner langen Karriere – 1986 erkochte er sich seinen ersten Stern – verschiedene Speisen entworfen, die zu wahren Klassikern geworden sind. Vor allem darf er für sich in Anspruch nehmen, eines der meistkopierten Gerichte der Spitzenküche entwickelt zu haben: Millefeuille mit geräuchertem Aal, Foie Gras, Lauchzwiebelcreme und karamellisiertem grüner Apfel.

Signature Dish von Martin Berasateguí: Millefeuille mit geräuchertem Aal, Foie Gras, Lauchzwiebelcreme und karamellisiertem grüner Apfel.

Image: Jose Luis Lopezde Zubiria

Seine Klasse verdankt dieses Gericht im Original nicht nur den Aromen, die in müheloser Leichtigkeit miteinander verschmelzen und ein neues Ganzes hervorbringen, das mehr ist als die Summe der Zutaten. Mindestens ebenso genial unterstützt die Textur den Geschmack: die knusprig karamellisierte Zuckerschicht, die das Millefeuille bedeckt und mit dem fettigen, weichen Aal kontrastiert; die dünn geschichteten Äpfel, die noch Biss haben, Foie Gras, die wie ein Amalgam alles verbindet. Damit gelingt ihm das, was ein „Signature Dish“ im besten Fall auszeichnet, nämlich geschmackliche Komplexität auf überraschend einfache Weise darzustellen und zu dem er selbst sagt: „in einem Bissen steckt mein ganzes Geschmacksuniversum.“

Massimo Bottura: Durch Zufall zum Signature Dish

Belege dafür, dass berühmten Leistungen und Entdeckungen ein Zufall vorausgeht, gibt es in der Geschichte zuhauf. Penicillin, LSD, Röntgen – stets half der Zufall nach. Auch in der Spitzenküche spielen zuweilen unbeabsichtigte Vorgänge eine Rolle, die den Einfallsreichtum von Köchen anregen. Ein Paradebeispiel ist die Entstehung der Limonentarte von Drei-Sterne-Koch Massimo Bottura. Der Titel seines vielleicht berühmtesten Gerichts verrät schon alles: „Oops! I dropped the lemon tart“ lautet er, und er beschreibt ziemlich genau die Geschichte dahinter.

Limonentarte von Massimo Bottura

Image: Marco Poderi

Es war der Patisserie-Chef von Botturas Restaurant „Osteria Francescana“, Takahiko Kondo, dem beim Finishen des Tellers eine von zwei Zitronentartes entglitt. „Er war bereit, sich umzubringen“, beschrieb Bottura einmal während einer Buchvorstellung Kondos Schrecken über sein Missgeschick. Doch anstatt ihm eine Standpauke zu halten, reagierte der Italiener vollkommen unerwartet. „Taka, das ist die schönste Tarte, die du servieren kannst. Diese Imperfektion!“, jubelte Bottura. Und nahm die verunstaltete Tarte zum Anlass, ein für die Spitzengastronomie damals noch ungewöhnliches Dessert zu entwickeln.

Eines, das der Poesie huldigt, die ein Perspektivenwechsel auslöst. Botturas Signature Dish basiert auf einem Zitronengras-Zitronen-Gelato, enthält weiters eine Zabaglione mit Limoncello und eine Reihe an Gewürzen, darunter Bergamotte, Pfefferminze, Ingwer und Kapern. Die Besonderheit liegt aber darin, wie dieses hochklassige Dessert angerichtet wird: es bildet die heruntergefallene, verrutsche, unperfekte Tarte jenes vermeintlich unglücklichen Moments nach, und ist damit zu einem ikonischen Gericht der zeitgenössischen Haute Cuisine geworden.

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