Wenn etwas die meisten Menschen auf diesem Planeten verbindet, dann nicht etwa etwas, dass die meisten von uns haben – sondern das genaue Gegenteil: Ein Mangel. Und zwar ein Mangel an Zeit. Wir leben in einer Welt, in der alles schneller, alles hektischer, unser Zeit Budget hingegen immer kleiner wird. Und genau eben dieser Zeitmangel hat auch die Essensgewohnheiten radikal verändert. Insbesondere die urbane Kulinarik wird seit vielen Jahren von Fast Food dominiert. Von Speisen, die schnell zubereitet werden und meist ebenso schnell verzehrt werden.
Hat man sich früher üblicherweise für den Konsum der Speisen zumindest noch für ein paar Minuten im Lokal hingesetzt, so ist auch das mittlerweile immer seltener. Heute muss es schnell gehen, am besten zum Mitnehmen, ohne lange in der Schlange zu stehen oder in irgendeinen Laden oder Restaurant hineingehen zu müssen. Die Antwort darauf? Street Food. Doch was ist das eigentlich?
Unter Street Food versteht man kurz gesagt, direkt auf der Straße verkaufte verzehrfertige Speisen und Getränke. An sich nichts Neues, kennt man doch schon seit Jahren die klassischen Würstchenbuden.
Street Food: innovativ und qualitativ hochwertig
Was sich jedoch in den vergangenen Jahren geändert hat, ist das Image von Street Food. Von London über Paris, Wien und Zürich bis nach Mailand und Barcelona: Neben deutlicher Qualitätssteigerung bei den Speisen bieten innovative Konzepte auch laufend Neues. Egal ob Metropole oder kleines Städtchen, Street-Food-Festivals – sprich Märkte auf denen Anbieter in ihren Food Trucks die unterschiedlichsten Trend-Speisen aus aller Welt zubereiten und verkaufen – sind mittlerweile als gesellschaftliches Ereignis nicht mehr wegzudenken. Die Richtung, in die sich Street Food bewegt, ist klar: Weg von – im wahrsten Sinne des Wortes – billigem schnellem Essen hin zu trendigen, hochwertigen und nachhaltigen Speisen, für die die Menschen schon mal tiefer in die Tasche greifen und teilweise auch lange Wartezeiten auf sich nehmen.
Döner-Geburtsort Berlin
Letzteres kann man bereits seit 2005 am Mehringdamm, einer nicht unbedingt hippen Durchzugsstraße in Berlin-Kreuzberg, tagtäglich miterleben. Dort befindet sich mit „Mustafa’s Gemüse Kebap“ der seit vielen Jahren angesagteste Döner-Stand Deutschlands. Hier stehen die Kunden schon mal mehr als eine Stunde an – freiwillig, versteht sich. Aber warum?
Was macht diesen Street-Food-Stand so besonders, dass er mittlerweile sogar als Touristenattraktion gilt? Hinter „Mustafa“ steht der gebürtige Türke Tarik Kara, der mit regionalen Bio-Produkten und dem richtigen Know-how eine wahre Berliner Lokalgröße geschaffen hat. Sein ganz spezielles Erfolgsgeheimnis sieht der 40-Jährige jedoch woanders: „Die Qualität der Mitarbeiter entscheidet über die Qualität der Speisen. Sind sie glücklich, machen sie bessere Döner“, so Kara. Für ihn sei Wertschätzung das Wichtigste, sowohl für die Kollegen als auch für die Kunden. „Für sie tue ich alles. Und die spüren das.“
Gespür und Qualität sind es auch, die anderswo für den Erfolg von Street Food verantwortlich sind. Gespür dafür, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Denn dann spielt auch Geld keine Rolle (oder zumindest kaum), wie „Hans Kebab“ in München beweist. Dessen Besitzer, der ehemalige Bartender Cihan Anadologlu, erfand „Deutschlands ersten Craft Kebab“ im Jahr 2021 – und bietet an mittlerweile zwei Standorten in der bayrischen Hauptstadt unter anderem den wohl teuersten Döner der Bundesrepublik an. Dieser hat es wahrlich in sich. „From Istanbul to Tokyo“ nennt sich der Premium Döner Kebap, der mit dem für viele Beef-Liebhaber bestem Rindfleisch der Welt, dem japanischem Wagyu, bestückt wird. Und dieses ist rar, weshalb auch das exklusive Street Food täglich nur in einer begrenzten Stückzahl erhältlich ist; Reservierungen am Vortag werden daher erbeten. Der Preis für den Premium Döner, stattliche 35 Euro, schreckt aber offenbar nur wenige ab. „From Istanbul to Tokyo“ ist meist schnell ausverkauft.
Ja, ja, der Döner und die Deutschen, das ist ohnehin eine seit einem halben Jahrhundert andauernde Liebesgeschichte. Denn auch, wenn das Sandwich mit Fleisch vom Spieß seinen Ursprung in der Türkei hat, wurde es erst in Deutschland so richtig groß, wie der Soziologe und Journalist Eberhard Seidel in seinem Buch „Döner. Eine türkisch-deutsche Kulturgeschichte“ erzählt. Berlin sei „der Geburtsort“ des Döners, und habe sich von einer Speise, die „aus einer ökonomischen und gesellschaftspolitischen Notlage heraus entstand“, zu einem echten Erfolg entwickelt, so der Autor. Und das weit über die Grenzen Deutschlands hinaus.
Street Food: von der Straße bis hin zum Gourmetrestaurant
Belege dafür gibt es reichlich. Nicht nur der Unternehmer Elon Musk meinte 2020 auf die Frage, welche seine deutsche Lieblingsspeise sei, „Döner Kebap“. Und sogar das weltberühmte Berliner Luxushotel Adlon bietet seinen Gäste den „Adlon Döner“ auf seiner Speisekarte an – „in einer sehr edlen Version“, wie es offiziell heißt: „Das knusprige Fladenbrot wird mit sous-vide gegarten Kalbsrücken-Filetstreifen, eingelegtem Rot- und Weißkraut, Tomatenscheiben, einer Trüffelcreme und frisch gehobelten Trüffelspänen gefüllt.“ Kostenpunkt: Um die 33 Euro.
Zwei Kilometer vom Adlon entfernt wiederum findet man „Kebap with Attitude“, Berlins erstes „New Wave Döner Kebap Restaurant“. Die erwähnte „Haltung“ (engl. attitude) steht hier für Bio, Regionalität, Transparenz und Fairness. „Wir haben die Kunst der Kebap-Herstellung neu definiert“, erklären die Gründer Deniz Buchholz und Daniel Herbert. Ihre Idee sei einfach gewesen: Den Döner zu einem „unvergesslichen“ Erlebnis zu machen. „Wir bieten eine Vielfalt an Geschmack an, die einen über die Straßen von Bursa bis nach Berlin und darüber hinaus führt.“ Dies manifestierte sich schließlich in Kreationen wie dem Lào Mau im Vietnam-Style oder dem Truffle Delüks mit grünem Spargel und Granatapfelkernen. Fürs Catering geht „Kebap with Attidue“ quasi back to the Street-Food-roots: hier bieten sienämlich einen eigenen Food Truck an, aus dem auf Events die „New Wave Döner“ serviert werden.
In Zeiten wie diesen dürfen natürlich auch fleischlose Varianten des klassischen Döners nicht fehlen. Neben jenen mit veganen Fleischersatzprodukten („Vöner“) stammt eine vegetarische Version – wie könnte es auch anders sein – aus der Schweiz: Der Käse-Kebap. Weltweit erstmals 2018 vom Züricher Roland Rüegg unter dem Namen „Cheebap“ als eine Mischung aus Cheddar, Halloumi und Raclette-Käse hergestellt, berichtete sogar die britische Tageszeitung „The Sun“ über den Schweizer Trend, der allerdings bisher noch keinen echten Siegeszug über die Schweizer Grenzen hinweg angetreten hat.
Zu diesem haben dagegen French Tacos bereits angesetzt. Dabei handelt es sich um Street Food, das sich (wie der Name deutlich macht) zuerst in Frankreich durchgesetzt hatte: Mit Fleisch und Pommes Frites gefüllte Weizentortillas mit Käsesoße. Für den Trend mitverantwortlich: Der gelernte Maurer Patrick Pelonero, der im Jahr 2007 gemeinsam mit einigen Jugendfreunden das erste „O’Tacos“-Restaurant in Paris eröffnete, das sich als Franchiseunternehmen zur größten French-Tacos-Kette entwickeln sollte. Mit über 200 Verkaufspunkten allein in Frankreich sowie zahlreichen weiteren in Belgien, Deutschland, Luxemburg und den Niederlanden bis hin zu Nordafrika und den französischen Übersee-Départements. Tendenz steigend.
Gutes Essen – auch auf der Straße
Tendenz steigend, das trifft auch auf die Street-Food-Ikone Großbritanniens zu: Petra Barran. Nach einer Lehre beim belgischen Chocolatier Pierre Marcolini begann die Engländerin 2005, mit einem alten Eis-Lieferwagen namens Jimmy durchs Land zu fahren, um Schokolade zu verkaufen. Nach sechs Jahren „on the road“ gründete sie schließlich KERB, ein Kollektiv von kleinen, unabhängigen Street-Food-Anbietern. „Ich wollte, dass es normal wird, gutes Essen auf der Straße zu essen. Ich wollte nicht, dass das nur in Restaurants möglich ist“, so Barran.
Street Food in London sei eintönig gewesen. „Ich wollte von Anfang an Geschmack, Unabhängigkeit, Power und Know-How einbringen. Zudem wollte ich gegen die Welle der langweiligen Gastronomie ankämpfen, die auf uns zurollt.“ KERB-Mitglieder, die auf Märkten oder Firmenevents tätig sind, bekommen professionelle und logistische Unterstützung, man hilft bei der Organisationsstruktur und Marketing sowie der geschäftlichen Weiterentwicklung. So haben sich diverse Street-Food-Anbieter bereits in erfolgreiche Restaurants verwandelt, wie Pizza Pilgrims, Bleecker Burger und Bao. Was sich laut der Gründerin nicht geändert hat, ist die ursprüngliche Vision: „Großartiges Essen, serviert von großartigen Menschen, die auf Märkten und bei Veranstaltungen in der ganzen Stadt tätig sind, um London besser schmecken zu lassen.“
Klar, dass so manche innovative Speise mehr Sternschnuppe als Fixstern auf dem Street-Food-Himmel ist. Ob sich letztlich Wildfleisch-Burger, Lachs Hot-Dog oder Mkate Mayai (kenianischer Biskuitkuchen mit Minze, Fleisch und Ei) etablieren und tatsächlich zum breiten Trend in Europa werden, bleibt abzuwarten. Was jedenfalls Petra Barrans Initiative mit europäischen Street-Food-Trends verbindet: Das trashige Image soll den Take-Away-Speisen genommen werden. Die Qualität der Zutaten steht dabei ebenso im Vordergrund wie Gesundheit, Tierwohl, Nachhaltigkeit und faire Arbeitsbedingungen. Und Vielfalt, die wiederum zu Innovation führt, wie auch Petra Barran betont: „Es gibt so viel tolles Neues im Street-Food-Business – und nicht nur mit fixen Ständen. Manche verkaufen aus einer Durchreiche, manche aus der eigenen Küche, andere vom Fahrrad aus. Es wird niemals aufhören, sich zu weiterzuentwickeln.“