Ätherische Öle in der Sterneküche
»Weird but wonderful«: So titelte Heston Blumenthal im Mai 2002 eine von ihm verfasste Kolumne im britischen »The Guardian«. Der Spitzenkoch und Inhaber des mit drei Michelin-Sternen ausgezeichneten Restaurants »The Fat Duck« veröffentlichte damals eine Reihe von Rezepten, die im ersten Moment nicht sonderlich ansprechend wirkten. Blumenthal wollte damit zeigen, dass sich zwei scheinbar willkürlich ausgewählte Zutaten wunderbar ergänzen können– vorausgesetzt, man lässt seine Vorurteile beiseite.
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Eine dieser Kombinationen war ein Gelee aus Roter Beete und Grünem Pfeffer mit einem Mango-Kiefern-Püree. Dazu schrieb er: »Letzteres mag seltsam klingen, aber wenn man darüber nachdenkt, haben Mangos eine ausgeprägte Kiefernnote.« Die Zubereitung war denkbar einfach: Blumenthal versetzte das Mangopüree mit dem ätherischen Öl von Douglaskiefern. Das Öl schien eine Zeit lang zu seinen Standardgewürzen zu gehören. Er verwendete es unter anderem auch für »Vanilla pine sherbet dip dab«, eine Neuinterpretation des britischen Süßigkeitenklassikers, bei dem ein Lollipop oder eine Lakritzstange in eine Art Brausepulver gedippt wird. Blumenthal servierte das Gericht als »Pre-Hit« vor einem Dessert mit dem bereits erwähnten Mangopüree.
»Der Grund dafür ist – abgesehen davon, dass es köstlich ist –, dass wir Kiefer normalerweise mit Aroma assoziieren, nicht mit Essen. Wenn wir einige Minuten vor dem Dessert schon damit in Berührung kommen, lernen wir den Geschmack von etwas zu akzeptieren, das unser Geist normalerweise mit Haushaltsprodukten verbindet, und wir können das Gericht uneingeschränkt genießen.«
Mix it – Geschmacksvielfalt sondergleichen
Barinhaberin Sigrid Schot arbeitet seit drei Jahren mit ätherischen Ölen: Anfangs, um damit Öle zu aromatisieren und diese auf die Cocktails zu träufeln. Für ihre sechs neuen Signature Drinks, für die sich Schot und ihr Barteam Inspiration bei Banksy Kunstwerken geholt haben, wird hingegen der Lime Cordial aromatisiert: Bei »Colourful Pain« mit Geranien, bei »Butterfly Headshot« mit Ginster und bei »Ballerina with action man parts« mit Ylang-Ylang.
1. Fein dosieren
Es gilt: Weniger ist mehr! Denken Sie allein an das Beispiel Pfefferminzöl: Ein Tropfen entspricht umgerechnet 28 Tassen Pfefferminztee. Um von den positiven Effekten zu profitieren, ist die richtige Dosierung wichtig.
2. Mit Zahnstocher arbeiten
Dosieren Sie am besten mit einem Zahnstocher, indem Sie ihn einfach in das gewünschte ätherische Öl-Fläschchen stecken und dann im Gericht damit umrühren. Schon ein Tropfen zu viel kann die ganze Speise ungenießbar machen.
3. Unbedingt verdünnen
Ätherische Öle dürfen (mit wenigen Ausnahmen) nicht pur angewendet werden, also weder mitgekocht, noch direkt auf das fertige Gericht geträufelt werden. Verdünnen Sie 1 – 2 Tropfen Öl mit einem zur Speise passenden Emulgator, also etwa mit Öl, Sahne, Mayonnaise, Sauerrahm, Senf, Eigelb, Butter, Honig, Sirup oder Sojasauce.
4. Darauf achten, wer mitisst
So wie Babys, Kleinkinder, Schwangere, Allergiker, alte oder einfach sehr sensible Menschen manche Gewürze nicht vertragen, gilt das auch für ätherische Öle. Hier muss zum Teil oder ganz darauf verzichtet werden.
5. »Naturreine« Öle verwenden
Zum Kochen eignen sich ausschließlich 100% naturreine ätherische Öle. Andere Bezeichnungen können irreführend sein und synthetische Inhaltsstoffe miteinschließen. Manche Hersteller bieten Produkte speziell für die Aromaküche an.
6. Richtig lagern
Bewahren Sie die licht- und temperaturempfindlichen Öle dunkel und maximal bei Zimmertemperatur (am besten noch kühler) auf. Meistens sind sie bereits in sehr guten lichtgeschützten Fläschchen abgefüllt.
Aromaexpertin Eva Fischer gibt ihr Wissen auch in Kochworkshops weiter.
Ätherische Öle sind auch in der Spitzenpâtisserie beliebt
»Es ist immer ein unterstützen und nicht ein ›nur‹«, beschreibt Spitzenpâtissière Eveline Wild ihre Herangehensweise an ätherische Öle. Das bedeutet, dass sie für das Aromatisieren von Schokoladenganache und Pralinenfüllungen zuerst Ölauszüge macht, etwa von Orangen, Lavendel oder Rosmarin, und nur bei Bedarf noch fertige ätherische Öle zusetzt. Nur das fertige Öl zu verwenden, so sagt sie, könne sonst leicht zu einer Überdosierung führen.
HOCHKONZENTRIERTE ESSENZEN
Die Verwendung von ätherischen Ölen in der Küche war Anfang der 2000er-Jahre der Renner unter zukunftsweisenden Köchen wie Heston Blumenthal oder Daniel Patterson. Der amerikanische Spitzenkoch und Multi-Gastronom veröffentlichte 2004 gemeinsam mit der Parfümeurin Mandy Aftel das Buch »Aroma: The Magic of Essential Oils in Food & Fragrance«. Darin enthalten sind unter anderem Rezepte für Krabbensalat mit Korianderöl, Artischocken mit Litsea Cubeba Mayonnaise, mit Rose infusionierter Wolfsbarsch, Orangenblütenpudding und weiße Schokolade mit Estragonöl. Ungefähr zur gleichen Zeit servierte Dan Barber in seinem New Yorker Restaurant »Blue Hill« Pilzsuppe mit Steinpilzöl, während der kalifornische Chocolatier Michael Recchiuti mit Zitronenverbene-Trüffel auf sich aufmerksam machte.
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Öl ist nicht gleich Öl
Heute sorgen vor allem Unternehmen wie Sonnentor und doTerra mit eigenen Gewürzöl-Kollektionen dafür, dass ätherische Öle ihren Weg zurück in die Küche finden. Die duftendenden Flüssigkeiten, die meist durch Extraktion oder Destillation aus Rinde, Wurzeln, Schalen, Blättern oder anderen Pflanzenteilen gewonnen werden, sind wie gemacht dafür, um Speisen und Getränke zu verfeinern bzw. bereits bekannten Gerichten einen neuen, intensiveren Geschmack zu verleihen.
Allerdings handelt es sich dabei nicht unbedingt um dieselben Öle, die man auch in eine Duftlampe träufelt. Diese werden in den meisten Fällen synthetisch hergestellt und sind deshalb nicht zum Verzehr geeignet. Zum Kochen, Backen oder für Getränke eignen sich ausschließlich naturreine und lebensmittelzertifizierte ätherische Öle, am besten solche aus biologischem Anbau. Zu beachten gilt auch, dass die sogenannten »Würzessenzen« kein Ersatz für andere Gewürze oder Kräuter sind, sondern eine Ergänzung und zusätzliche Möglichkeit darstellen, um einem Gericht mehr Aroma und Tiefe zu verleihen. Das kann besonders dann praktisch sein, wenn eine bestimmte Zutat nicht oder nur in schlechter Qualität erhältlich ist.
EIN HAUCH GENÜGT
Wer zum ersten Mal mit ätherischen Ölen kocht, tastet sich am besten mit der Herstellung von Marinaden oder Würzölen an das Thema heran. Auch eine Sojasauce mit Zitrusnoten wäre denkbar, etwa für Fisch- und Tofu-Gerichte, oder aromatisierter Honig zum Verfeinern von Süßspeisen. Zu den beliebtesten ätherischen Ölen zählen vor allem Zitrus- und Kräuteröle, aber auch Kardamom-, Zimt-, Vanille-, Kakao- und Kurkumaöl.
Richtig ausgewählt und eingesetzt, profitiert der Gast nicht nur geschmacklich, sondern auch von den positiven Effekten auf Körper und Geist. Beispielsweise wirkt Basilikum-, Rosmarin- oder Ingweröl appetitanregend und verdauungsfördernd – ideal also für Vorspeisen. Salbeiöl beruhigt und macht reichhaltiges Essen bekömmlicher. Pfeffer- oder Zitrusöl wirkt anregend und macht munter. Im Dessert angewendet sorgt das für einen Frischekick vor dem abschließenden Käsegang. Wie vieles beim Kochen sind allerdings auch ätherische Öle Geschmackssache und eine Sache des Ausprobierens.
COCKTAILS WIE PARFUMS
Das gilt auch für den Barbereich. Wobei der Einsatz der Öle genauso wie in der Küche mit äußerster Vorsicht zu genießen ist. Bar- Consultant und Sensorik-Experte Reinhard Pohorec, der im Zuge seiner interdisziplinären Recherchen auch mit renommierten Parfümeuren in Grasse zusammengearbeitet hat, rät eindringlich dazu, die vorgeschriebenen Dosierungen unbedingt einzuhalten, um Vergiftungen vorzubeugen. Hat man das erst einmal verinnerlicht, kann man seinen Gästen aber gänzlich neue Geschmackswelten eröffnen.
Für eine optimale Dosierung und Applizierbarkeit der schwer löslichen Öle empfiehlt Pohorec verschiedene Vorgehensweisen. So könne man einerseits mit Emulgatoren oder Verdickungsmitteln arbeiten, etwa mit Gummiarabikum, das Bar-Profis durch den Gomme Sirup hinlänglich bekannt sein sollte. »Man kann aber andererseits auch einen Honigsirup mit ätherischem Öl oder einen Aromenspray machen. Indem man eines oder mehrere Öle in hochprozentigem Alkohol auflöst, schafft man sich eine Art Parfümessenz, die man auf den Drink seiner Wahl als Finisher appliziert.«
Ein komplexeres Vorgehen wäre das Fat Washing von Spirituosen, die einfachste und gängigste Form hingegen das Aromatisieren der Drinks mittels Zeste. »Generell kann man mit Einzeldüften arbeiten oder einen ganzen Akkord komponieren, ähnlich wie bei einem Parfüm. Aufgrund ihrer Schwere, Dichte und aromatischen Intensität verändern sich die Öle im Zeitverlauf. Das bringt Spannung und ermöglicht es, mit bekannten Cocktails eine komplett neue Richtung einzuschlagen.«
Dass man bei all der Experimentierfreude aber auch über das Ziel hinausschießen kann, zeigt ein Versuch von Heston Blumenthal aus dem Jahr 2007, dessen Scheitern er fünf Jahre später gegenüber der Food- und Dining-Plattform Eater eingestand: »Ich habe einmal Gänsefutter mit ätherischem Kiefernöl gemischt, um zu sehen, ob die Gans später nach Christbaum schmeckt. Das hat nicht wirklich funktioniert.«
Kulinarischer Einsatz von ätherischen Ölen ist vielschichtig möglich
Bei einem Hummer bekommt der Gast beispielsweise das Aroma ›Krustentier‹ und bei Pilzen ›Waldboden‹.«ANDREAS MAYER, Schloss Prielau
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Für sein Aromenmenü konserviert Haubenkoch Andreas Mayer die Kernnote einzelner Gerichte in Form von Parfum-Essenzen. Diese werden nicht direkt in den Speisen verarbeitet, sondern auf Parfumstreifen aufgetragen und vor dem Servieren des Gerichts vom Gast gerochen, um eine sinnliche, geruchliche Vorfreude zu erzeugen. Über 100 Aromen hat Mayer bereits destilliert, darunter Zitronengras, Meerrettich, Rote Rübe, Haselnuss, Thymian, Pfeffer, Schokolade und Schweinsbraten.
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Für ihre veganen Eiskreationen setzt Mariane Leyacker-Schatzl auf die Kombination aus frischen Kräutern und den ätherischen Ölen von Primavera. Bis zu zwei Jahre hat sie an den Rezepten gearbeitet, Vorgaben für die Anwendung und Dosierung, an denen sie sich hätte orientieren können, gab es bis dato keine. Leyacker-Schatzl verwendet die Öle unter anderem für ihre Eissorten Zitrone-Melisse, Gurke-Limette, Orange-Basilikum, Minze und Zimtstange.