Tolaas selbst bezeichnet sich als ‚professional inbetweener‘, als wissenschaftliche Grenzgängerin. Seit dreißig Jahren sammelt und archiviert sie in ihrem Berliner Labor Geruchsproben, auch solche, die für uns zum Himmel stinken: von Exkrementen, ranzigem Öl und vergammelten Früchten. Mithilfe eines kleinen Staubsaugers nimmt sie die Proben an den von diesen Gerüchen geprägten Orten auf und lässt die Moleküle anschließend chemisch auslesen, um den Geruch zu imitieren und zu synthetisieren.
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Ihre Dienste stellt Tolaas Galerien und Museen zur Verfügung, aber auch Kosmetikkonzernen und Hotelketten, für die sie Corporate-Düfte entwickelt. Ihren olfaktorischen Installationen liegen komplexe Konzepte zugrunde, in denen sich nicht nur ihr künstlerisches Denken, sondern auch ihr ausgeprägter Sinn für Humor spiegeln. Sie komponiert teils provokante Aromen, die unser Gedächtnis stimulieren, verschwundene Orte wiederaufleben lassen, Saisonalität einfangen und emotionale oder intellektuelle Reaktionen hervorrufen. Grenzüberschreitende Erfahrungen sollen dabei helfen, die Geruchsempfindlichkeit der Rezipienten zu verbessern und Toleranzgrenzen zu überwinden. Das Bewusstsein des über lange Zeit vernachlässigten, jedoch für die Menschheit überlebenswichtigen Geruchssinns soll geschärft werden. Nahrungsmittel spielen bei ihrer Arbeit naturgemäß eine große Rolle – immer wieder initiiert sie Forschungsprojekte und konzipiert Ausstellungen um das Thema Food.
KTCHNrebel traf Tolaas in ihrem Labor in einer Berliner Altbauwohnung – dank eines Auftrags der Haute-Couture-Marke Balenciaga in eine würzige, nach Hölzern und Leder duftende Wolke gehüllt.
Ihre Biografie und Ihr Studium beeindrucken. Wie kamen Sie auf die Idee, sich ausgerechnet mit Gerüchen zu beschäftigen?
Ich bin an der Westküste Norwegens aufgewachsen und war dort von viel frischer Luft umgeben. Ich tobte am liebsten im Freien und hatte damals schon eine ausgeprägte Neugierde und einen starken Forscherdrang. Dennoch wurde ich von einer Asthma-Erkrankung in meine Schranken gewiesen. Das machte die Luft, diese unsichtbare Masse von Nichts, die mich umgab und die so lebenswichtig war, und den Prozess des Atmens besonders interessant für mich. Von der Beschäftigung mit der Luft bin ich in die Welt der Gerüche gelangt.
Ursprünglich wollten Sie ja Astronautin werden …
Ja, aber das Asthma hielt mich zurück. Stattdessen ging ich zum Studieren in den Osten, nach Russland, das zur damaligen Zeit auch wie ein anderer Kosmos war. Ich fühlte mich dort total auf mich selbst und meine Sinne zurückgeworfen – und beschloss, dass diese mein zukünftiges Rüstzeug sein sollten. Ich beschäftigte mich also mit Fragen wie: Was lässt uns am Leben bleiben? Was passiert beim Atmen? Welche Funktion haben unsere Sinne? Was ich bald feststellte: Der Geruchssinn war historisch gesehen lange Zeit völlig unerforscht! In intellektuellen Kreisen galten Gerüche wohl als zu intrinsisch, zu privat, um sich damit zu beschäftigen. Es gab jedenfalls keinen Diskurs darüber.
Was sind Ihre wichtigsten Erkenntnisse über unseren Geruchssinn?
Zuallererst: Geruch aktiviert die Erinnerungen und die Emotion schneller als jeder andere unserer Sinne. Es gibt zwei Dinge, die der Geruch steuert: die Partner- und die Nahrungssuche. Und die waren für unsere Spezies überlebenswichtig. Außerdem kann der Geruchssinn bis heute nicht digital bedient werden. Das unterscheidet ihn auch von unseren anderen Wahrnehmungsmöglichkeiten.
Wie haben Sie sich Ihren Forschungsobjekten genähert?
Ich bin sieben Jahre lang gereist, habe Geruchsproben gesammelt, sie kategorisiert und archiviert. Mit meinen Beschreibungen habe ich die Gerüche quasi in Sprache überführt und eine Datenbank, ein Archiv geschaffen. Als ich diese Arbeit 1997 abschloss, hatte ich 6700 Aromen gesammelt, die ich alle mit Referenzen ausgestattet habe: Ein Ort, eine Begegnung, eine Begebenheit waren dabei die Eckdaten. Ich habe alles aufgeschrieben, was diesen Duft für mich ausmachte. Mein linguistischer Hintergrund hat mir sehr geholfen, diese unsichtbare Welt in Worte zu fassen.
Es geht Ihnen bei Weitem nicht nur um Wohlgerüche. Sie haben eine Ausstellung konzipiert, in der Sie den Angstschweiß von Phobikern an die Wände pinselten, was bei den Besuchern zum Teil heftige Reaktionen auslöste. Wie gehen Sie selbst mit schlechten Gerüchen um?
Das ist reines Training: Ich bewerte nicht mehr. Durch meine jahrelange Arbeit habe ich eine Toleranz entwickelt, die mich dazu befähigt, meine Grenzen immer weiter zu verschieben. Das muss ich auch, um diese Aufgabe überhaupt erfüllen zu können. Denn glücklicherweise gewöhnt sich die Nase sehr schnell an jede Art von Geruch. Das ist ein Überlebensmechanismus, mit dem unser Körper ausgestattet ist.
Parfums interessieren Sie gar nicht …
Das stimmt. Ich benutze nie Parfums. Und ich stelle auch keine her. Parfums wollen die Welt korrumpieren, die ich enthüllen möchte. Was ich stattdessen mache: Ich trage unangenehme Gerüche auf, wenn ich ausgehe und keine Lust auf Smalltalk habe.
Sie haben auch im Food-Kontext schon Projekte realisiert.
Ja, zusammen mit der Biologin Christina Agapakis haben wir an der Harvard Medical School Käse mithilfe von Bakterien hergestellt, die wir in den Achseln, zwischen den Zehen oder von anderen menschlichen Körperstellen sammelten. Viele der rund 20 Bakterienspender waren Wissenschaftler und Künstler. Der Ernährungsjournalist Michael Pollan machte einen Bauchnabel-Abstrich. Lichtkünstler Olafur Eliasson stellte Tränenflüssigkeit samt mikroskopisch kleiner Mitbewohner zur Verfügung. David Beckham gab uns Bakterien aus seinen Fußballschuhen.
Eine ungewöhnliche Aktion. Was wollten Sie dadurch erreichen?
Es handelte sich bei der Käse-Kunst-Intervention um ein großes Projekt über Körpergerüche, über Mikroflora und die Rolle von Bakterien, die auf der Haut leben. Unser Ziel war, Körpergeruch, der ja viele Menschen an Käse oder andere fermentierte Lebensmittel erinnert, positiver zu besetzen.
Ist Ihnen das gelungen?
Zunächst lösten die selbst gemachten Käse bei Publikum und Presse die immer gleichen Reaktionen aus: Staunen, nervöses Gelächter, Unbehagen und Ekel. Ganz Mutige schnupperten an den Käselaiben, die je nach Sorte Stinkefuß-Odeur verbreiteten oder bloß vor sich hin dufteten. Bakterien sind in unseren Köpfen negativ besetzt. Aber wer entscheidet eigentlich, was sauber und was schmutzig ist? Ein wichtiger Teil meiner Arbeit ist die Dekontextualisierung von Dingen. Wenn man die Leute nicht darüber aufklärt, dass der Käse mit den Fußschweißbakterien von David Beckham gemacht wurde, werden sie den Geruch anders wahrnehmen.
Was ist Ihr nächstes Food-Projekt?
Eine Ausstellung namens ‚Food Print‘, die ab Oktober im Technischen Museum in Wien gezeigt wird. Dafür habe ich ein junges Mädchen gefunden, das einen Sauerteig für mich hergestellt hat. In jeder Stadt, die die Ausstellung zukünftig bereisen wird, wird ein Stück des Teiges abgezwackt. So reist der Teig – und mit ihm seine ‚Mutter‘ – durch ganz Europa. Dieser Sauerteig soll seine Schöpferin weite Teile ihres Lebens begleiten. Sauerteig kann sehr alt werden: über 50 Jahre.