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Eat Art – Wie Kunst & Design den Blick auf unser Essen verändern

Von: Lesezeit: 3 Minuten
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Wenn Künstler und Designer sich Essen zum Thema machen, bekommt auch der Kopf Nahrung. Mit ihren Werken verkochen sie die Grenzen des Möglichen – und zeigen uns, was in Zukunft kommen könnte.

Die Verbindung von Essen und Kunst hat eine lange Tradition. Was einst die obligatorische Obstschale für Maler war, ist heute jedes halbwegs herzeigbare Gericht für die Food-fetischistische Instagram-Gemeinde. Über den künstlerischen Anspruch verfilterter Burger und Bowls im Vergleich zu den klassischen Stillleben von Birnen und Bananen lässt sich trefflich streiten, verglichen mit dem, was moderne Künstlerköche und Food-Designer kredenzen, sind sie jedenfalls recht oberflächlich.

„Künstler und Designer leisten immer wichtigere Beiträge zur Gestaltung und Veränderung der Lebensmittelproduktion und Esskultur“, schreibt Expertin Hanni Rützler in ihrem Food Report 2020. „Dabei dient ihnen die Ästhetik als Kommunikationsmittel, mit dem sie auf Missstände aufmerksam machen und visuell beeindruckend Kritik üben.“

Hybridbraten à la Lammtaube

Themen gibt es genügend. Von Überfluss und Hunger, den Umgang mit Nahrungsmitteln und deren Produktion, bis hin zu Gesundheitswahn, Globalisierungskritik, individuellen Vorlieben und Abneigungen oder der Speisenzubereitung. „Indem sie mit Essen experimentieren und Nahrungsmittel sinnlich wie optisch verändern, schaffen sie nicht nur ein Bewusstsein für Essgewohnheiten und kulinarische Konventionen, sondern stellen diese zugleich in Frage“, schreibt Rützler über sogenannte Künstlerköche. Wenn etwa 3-Sterne-Chef Alain Passard für das Kunstmagazin „Beaux Arts“ eine Lammtaube  zaubert, dann stehen Ästhetik und Irritation im Vordergrund. Während gezüchtete Fleischfasern in Labors nur darauf warten, sich zu mainstream-fähigem Cultured Meat zusammenzufügen, erscheinen Gedanken an Hybridbraten allerdings gar nicht mehr so absurd.

Sollte der Fleischkonsum, wie wir ihn heute kennen, einmal komplett passé sein, würden mit ihm auch eine ganze Kultur und Berufe, wie etwa jener des Metzgers, verloren gehen. Um diese in der Vorstellung einer Post-Fleisch-Ära am Leben zu erhalten, gibt es die Skulpturen von Hanan Alkouh: Täuschend echt aussehende Schweinestücke aus Lappentang, einer Superfood-Alge, die gebraten wie Speck schmeckt.

Design soll das Essen verändern, nicht die Nahrungsmittel

Der Übergang vom künstlerischen Fokus auf Reflexion, Provokation, Irritation und Ästhetik, hin zu den darüber hinaus angestrebten neuen, kreativen Lösungen des Designs, verschwimmt an vielen Stellen. Das Anliegen ist aber ohnehin das gleiche – Veränderungen anzustoßen.

Marije Vogelzang, Europas führende Food-Designerin, sieht bei der öffentlichen Wahrnehmung ihres Fachgebiets ein Problem. „Es gibt ein Missverständnis über Food-Design: Dass es bloß bedeutet, Lebensmittel und Speisen schön zu machen“, sagt sie und verweist darauf, dass Lebensmittel von Natur aus perfekt gestaltet seien. Vogelzang, die sich daher lieber als Eating-Designerin bezeichnet, geht es nicht darum, die Nahrungsmittel zu verändern, sondern die Art und Weise, wie wir Lebensmittel produzieren und konsumieren. Eines ihrer Projekte – Volumes – widmet sich dem Versuch, Essen wieder zu einem achtsamen Erlebnis zu machen und die Gäste eines Restaurants auch mit kleineren Portionen zufrieden zu stellen. Vogelzang verwendet dafür Formen, um die das Essen auf dem Teller arrangiert wird. Einerseits ein Stilmittel zur optischen Aufwertung des Gerichts, andererseits wird das Gehirn so überlistet, indem eine größere Portion suggeriert wird. „Wir neigen dazu, uns zu überessen. Mit den Volumes auf dem Teller registriert dein Gehirn mehr Nahrung, als tatsächlich da ist“, erklärt Vogelzang. „Dein Bauch kann nicht zählen. Dein Gehirn sagt ihm, dass du genug hast.“

Ein potenzielles neues Gastrokonzept zeigt auch das Synesthetic Dinner  des niederländischen Food-Design-Studios The Eatelier auf. Es spielt mit dem neurologischen Phänomen der Synästhesie, verkürzt gesagt einer Koppelung der Sinne. Durch die Zusammenarbeit mit einem DJ und einem bildenden Künstler wird ein 5-gängiges Mahl so zu einem ganzheitlichen Sinneserlebnis.

Circle of Life – Der Gast am Tropf des Algen-Aquariums

Wer auf der Suche nach einer neuen Bar-Idee ist, findet vielleicht Inspiration in einer Installation des Eat Art Collective. In Alga’s Bar sind die Gäste an ein Aquarium voller Algen angeschlossen, dem sie mit ihrem Körper und Atem Wärme und Kohlendioxid liefern. Im Gegenzug werden sie mit nährstoffreichen Algen-Smoothies oder -Cocktails versorgt.

Apropos Superfoods, die Flechte ist in den Augen von Julia Schwarz einer der Hauptdarsteller in der künftigen Ernährung der Menschheit. Die Algen-Pilz-Symbiose kommt in mindestens 20.000 verschiedenen Arten auf der Welt vor, kann auf fast jeder Oberfläche wachsen und ist enorm widerstandsfähig. Perfekte Voraussetzungen, findet Schwarz, und schildert mit ihrer Dokufiktion  Unseen Edible eine Zukunft, in der Flechten Teil unserer Nahrungskette sind und in verschiedensten Formen auf den Tellern landen.

Kunst und Design liefern für die Player der Lebensmittelindustrie und Gastronomie Inspirationsquellen, die Denkanstöße geben, aufrütteln und Zukunftsszenarien aufzeigen. Sie regen dazu an, unser Essverhalten, unsere Essrituale und unsere Lebensmittel zu hinterfragen. Auch oder gerade weil sie anfangs vielleicht wie Spinnereien wirken. Sie betrachten Essen unter neuen Gesichtspunkten und zeigen, was möglich sein könnte. Oder wie es Rützler es formuliert: „Kunst provoziert und irritiert – Design sucht nach kreativen Lösungen und Visionen. Und dieses radikale Andersdenken eröffnet der Food- und Beverage-Branche neue Denkräume, um unser Ernährungssystem zu innovieren.“

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