Manche mögen es wohl als kleines Wunder ansehen, dass die hochkarätige Jury der World Restaurant Awards bei ihrer Reise durch die internationalen Gastro-Galaxien ausgerechnet im südafrikanischen Küstenstädtchen Paternoster Station machte. Und noch außergewöhnlicher ist, dass das hiesige De Wolfgat im Februar 2019 den Preis für das weltweit beste Restaurant gewann, fühlt man sich doch hier, in der Provinz Westkap, rund 200 Kilometer nördlich des Kaps der Guten Hoffnung, tatsächlich Lichtjahre vom glitzernden Gastrogeschehen der Großstädte entfernt.
Ein kilometerlanger goldener Sandstrand, an dem im Frühjahr hunderte von Buckelwalen vorbeiziehen und sich am überreichen Krill-Buffett stärken – das ist eine der Attraktionen in dem etwa 2000 Seelen zählenden Fischerdörfchen. Die andere ist nun das De Wolfgat, ein winziges, unprätentiöses Restaurant mit 20 Plätzen in einer ehemaligen Fischerhütte, von dessen Terrasse aus man die sanft geschwungene, von Dünen gesäumte und vom Wind zerzauste Küstenlinie überblickt.
„Dieser Küstenstreifen hat in Bezug auf frühe Zivilisationen eine reiche Vergangenheit, das inspiriert uns sehr. Auch die San, die hiesigen Ureinwohner hatten ein umfassendes Wissen über essbare Wildpflanzen“, sagt Kobus van der Merwe, blonder Bart, kompakte Statur, der gerade in Shorts und T-Shirt von seiner morgendlichen Sammeltour zurückgekommen ist und seine Ernte – Dünenspinat und Feldkohl – in der Mini-Küche abgelegt hat. Sein Blick wandert hinüber zu den in die Landschaft gewürfelten kapholländischen Häuschen des Ortes, der zweifelsohne seinetwegen auf der Gourmet-Agenda gelandet ist. „Ich stelle das Menü jeweils intuitiv zusammen. Die Westküste hat eine einzigartige Flora, den sogenannten Strandveld Fynbos, der sich mit den Jahreszeiten stark verändert. Je nach Wetter und Saison variieren also auch die Gerichte, immer abhängig davon, was ich bei meinen täglichen Ausflügen finde.“
Seinen Stil nennt van der Merwe „hyperlokale Strandveld-Küche“. Es sind die innovativen Techniken, die Konzentration auf nachhaltige Praktiken und die Auswahl an lokalen Zutaten, von denen die meisten aus Paternoster selbst stammen, die die Gerichte im De Wolfgat so besonders machen. „Wir servieren hier Speisen, die viele Leute nie zuvor probiert haben, indigene Sukkulenten und Kräuter beispielsweise, und wir servieren sie meist roh oder nur minimal verändert“, erklärt der Chef, der vor seiner Restaurantkarriere als Journalist tätig war. „Unsere Küche ist bewusst unindustriell.“
Einfach, pur, lokal
Die Karte des De Wolfgat – der Name bedeutet übersetzt Das Wolfsloch und rührt her von der gleichnamigen Höhle, deren Eingang sich unmittelbar unterhalb der Terrasse befindet – ist in Afrikaans verfasst. Ergänzt werden die knappen Beschreibungen von den lateinischen Namen der Pflanzen, die in die Küche Eingang finden. Da ist ein knusprig gebratener Tintenfisch auf einem Kapokbos-Spieß (Kapokbos ist auch als wilder Rosmarin bekannt) und ein Amuse Gueule einer cremigen weißen Muschel, die mit Buttermilch und Panade in ihrer eigenen Schale serviert wird, gefolgt von Strandsalie (Wildem Salbei), Seebamboes (Seebambus) und Sampioen (Champignons). Eine Holzschale mit Butterbohnen (Afrikaans: Heerenbone), Feldkohl (Veldkool), Dünenspinat (Duinespinasie) und gerösteten Kürbiskernen wird abgelöst von dem Custard aus schwarzen Muscheln mit Kokosnuss, wildem Knoblauch und Aprikosen. Die unprätentiöse Präsentation des Essens ist Teil der Philosophie – rustikale Keramik, Holzschüsseln und sogar Steine aus der Gegend kommen mit auf den Tisch.
Ohne Hektik wandert Kobus van der Merwe von Tisch zu Tisch, schenkt großzügig Wein nach und verfährt ebenso großzügig mit seiner Zeit. Er teilt sein Wissen über die Zutaten der servierten Gerichte, gibt Tipps für Ausflüge in die Umgebung. Neben der ungewöhnlichen Küche ist ganz offenbar das Teil seines Erfolgs: Kobus van der Merwe macht einfach sein Ding hier. Und man kann gar nicht anders, als ihn dafür zu lieben. Über drei Monate ist das De Wolfgat ausgebucht – jeden Tag um Mitternacht werden die Plätze eines weiteren Tages innerhalb von wenigen Minuten vergeben.
Fans das Hauses und Touristen, die kurzfristiger nach Paternoster kommen, weichen inzwischen auf das nicht weit entfernte Restaurant von Kobus’ Mutter aus: Das Oep ve Koep, ein Gemischtwarenladen mit integriertem Deli, in dem van der Merwe seine ersten kulinarischen Gehversuche unternahm und der jetzt mehr und mehr nach seinen Prinzipien bewirtschaftet wird, erfreut sich wachsender Beliebtheit. Gut möglich, dass dieses Lokal, in dem der berühmte Sohn des Ortes seine Leidenschaft fürs Kochen entdeckte, bald zur zweiten Pilgerstätte von Paternoster wird.