Drei Michelin-Sterne. Insgesamt neun Lokale in England, Hong Kong und auf Malta. Ein wesentlicher Bestandteil der englischen Restaurantgeschichte. Ja, man könnte durchaus meinen, Simon Rogan (exklusive Portrait-story)hat bereits alles erreicht, alles getan, alles erledigt, was man so in einem der Kulinarik gewidmeten Leben eben erreichen, tun und erledigen kann.
Auf der Suche nach neuen Ideen und Inspiration
Doch auch zwanzig Jahre nach dem Wagnis, im 4.800-Seelen-Dorf Cartmel in North West England eine alte Schmiede in das L’Enclume (französisch „Amboss“), ein Restaurant auf höchstem Niveau, umzuwandeln, hat der heute 55-jährige noch immer nicht genug. Simon Rogan zieht es in die Ferne. Genauer: nach Australien. Noch genauer: nach Sydney. Der Sternekoch sucht nach neuen Ideen und Inspirationen und wird dem Sommer der Nordhalbkugel entfliehen um für ein exklusives, fünfwöchiges Gastspiel in den Bathers‘ Pavilion übersiedeln, ein Restaurant am Balmoral Beach im Norden Sydneys. Vom 19. Juli bis 20. August 2023 will Rogan „einige unserer Lieblingsgerichte aus dem L’Enclume mit großartigen lokalen Zutaten kombinieren, die es nur in Australien gibt“, wie er erklärt.
Ursprünglich für 2020 geplant, wurde die sogenannte „Residency“ (korrekt übersetzt eigentlich die Verlegung des Wohnsitzes) corona-bedingt um drei Jahre verschoben. Jedoch: „Da wir 2022 unser 20-jähriges Jubiläum feierten, ist das jetzt der perfekte Zeitpunkt, denn wir freuen uns darauf, dort weiterfeiern zu können.“
Kochen im Kulturerbe
„Dort“, das ist ein 1929 fertiggestelltes, zweistöckiges Gebäude im Stil der „Spanischen Mission Revival“-Architektur. Heute ein australisches Kulturerbe, diente der Bathers‘ Pavilion einst, wie sein Name schon andeutet, als Badepavillon für Schwimmfreudige und Sonnenhungrige aus der Region. Derartige Pavillons erfreuten sich im 20. Jahrhundert insbesondere im Commonwealth großer Beliebtheit. Man fand darin kleine Shops, Umkleideräume, Duschen und Toiletten sowie auch das ein oder andere Café und Restaurant. Letzteres findet man im Balmoral Bather’s Pavilion noch heute. Als Fine-Dine-Lokal. Und für kurze Zeit sogar inklusive eines Sternenkochs.
Dieser überlässt für die Reise down under sein „Imperium“ in England den Menschen, denen er voll und ganz vertraut: Tom Barnes, Executive Chef der Restaurants im Lake District, arbeitet seit 13 Jahren mit Simon Rogan und Paul Burgalieres, Head Chef im L’Enclume, seit über fünf Jahren. „Die beiden wissen, was sie tun“, zeigt sich Simon daher auch beruhigt. „Ich weiß, dass ich die Restaurants in kompetente Hände gebe.“
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Simon Rogan: nicht ohne mein Team
Allerdings wird nicht das gesamte Team in der Heimat bleiben. Nicht bleiben können. Denn da Simon Rogan sein Küchen-Equipment aus Logistikgründen nicht aus Cartmel mit übersiedelt, wird der Ausnahmekoch vor die Herausforderung gestellt, dennoch die bewährte Qualität im neuen Umfeld bieten zu können. Und das funktioniert nun mal nur mit einem eingespielten Team. „Mein Executive Chef Oli Marlow und mein Geschäftsführer Sam Ward begleiten mich zusammen mit einigen erfahrenen Köchen, die alle schon einmal zusammengearbeitet haben“, zeigt sich Rogan beruhigt.
„Oli leitet meine Restaurants in Hongkong und ist daher mit Kochen rund um den Erdball bestens vertraut. Wir werden vor Ort mit Lieferanten aus der Stadt und dem Umland zusammenarbeiten. Es war wirklich großartig, jene zu finden, die meine Ansichten teilen. Zum Beispiel Chris Bolton, der bei nachhaltigen Fischereipraktiken führend ist. Wir arbeiten auch mit einem in Sydney ansässigen Keramiker zusammen, der maßgeschneidertes Geschirr für die Residency herstellt. Wir machen das bereits im L’Enclume, ich wollte das auf Australien übertragen.“
Obwohl das L’Enclume drei Michelin-Sterne hat, sei die Atmosphäre dort stets völlig entspannt, so Simon Rogan. „Ich denke, das wird auch in Australien so sein. Es wird zwar neue Gerichte, neue Zusammensetzungen geben, aber das Umfeld und das Feeling wird ein vertrautes sein. Cameron Johnston, Chefkoch des Bathers‘ Pavilion, war im vergangenen April im L’Enclume. „Für einen reibungslosen Ablauf hilft es sehr, wenn man sich bereits kennengelernt hat und weiß, wie die anderen in der Küche arbeiten.“
Und dieser Ablauf ist auch fern der Heimat eben ein gewohnter; schließlich ändert sich auch die Speisekarte im L’Enclume ständig saisonal. Bis auf ein Gericht, das in mehreren Rogan-Restaurants seit Jahren in verschiedenen Variationen auf der Speisekarte steht und auch im Bathers‘ Pavilion angeboten wird: der Berkswell Pudding. „Es wird leichte Anpassungen geben, da wir lokale Zutaten verwenden, aber es wird in Aussehen, Geschmack und Form gleichbleiben.“ Sein Stil bleibe ebenso der gleiche wie der Respekt vor den Zutaten. Den hochwertigen Bio-Zutaten, wohlgemerkt, wie Simon Rogan betont.
Hypersaisonal, lokal und kreativ – auch in Down Under
Dass er sich ausgerechnet für ein Gastspiel in Australien entschieden habe, liege nämlich an eben diesen. Der Starkoch baut viele seiner Zutaten auf seiner eigenen Landwirtschaft Our Farm nördlich von Cartmel im Nationalpark Lake District, auch The Lakes genannt, an. „Daher ist es wirklich spannend, einmal mit lokalen australischen Produkten kochen zu können. Besonders begeistern mich die Meeresfrüchte, Sydney ist ja für hervorragenden Fisch und Schalentiere bekannt.“
Die australische Metropole habe zudem eine fantastische Food-Szene, deshalb wollte er schon seit Ewigkeiten die Möglichkeit haben, sein Essen einigen Köchen zu präsentieren. Der „Farm-to-Table“-Zugang, für den sein L’Enclume bekannt ist, passe gut zu den Australiern, so Rogan. „Mit den lokalen Produkten, die ich verwenden werde, sind sie zwar vertraut, ich werde sie aber auf eine etwas andere Art und Weise zubereiten. Ich freue mich wirklich darauf, damit zu experimentieren – und ich weiß, dass mein Team das auch tut. Ich möchte meine hypersaisonale, lokale und kreative Küche für diejenigen nach Australien bringen, die noch nie in den Lakes waren.“
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Penible Vorbereitung
Das Team des Bathers‘ Pavilion hat Simon Rogan bereits vor geraumer Zeit Lieferanten vorgeschlagen, bei denen Nachhaltigkeit im Mittelpunkt steht. Zudem holte sich der 55-jährige Tipps von befreundeten Köchen in Sydney. „Mit einigen habe ich monatelang Gespräche geführt und bin wirklich glücklich darüber, dass wir hier zusammenarbeiten.“
Und warum der Bathers‘ Pavilion? „Dort haben sie ein ähnliches Ethos wie L’Enclume, sie bringen Verständnis für Nachhaltigkeit und Respekt vor Inhaltsstoffen mit. Und auch der Ausblick aufs Meer und das wunderschöne, denkmalgeschützte Gebäude, in dem das Lokal untergebracht ist, sind nicht übel!“
Wie wäre es denn dann damit, hier die Zelte für länger aufzuschlagen als für fünf Wochen? Wie wäre es mit einem permanenten Simon-Rogan-Lokal in Australien, so wie es sie bereits in Hong Kong und Valetta gibt? Simons knappe Antwort: „Sag niemals nie. Aber im Moment ist nichts geplant.“ Die Hoffnung down under lebt also.