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Radikal Lokal – so kocht Tomas Lidakevicius im Turnips

Von: Lesezeit: 5 Minuten

Saisonal und besonders lokal – das ist das Credo von Chefkoch Tomas Lidakevicius im Turnips. Denn hier wird nur mit Zutaten vom Londoner Borough Market gekocht. KTCHNrebel sprach mit dem Küchenchef über Gemüse, Mikro-Saisonalität, Inspiration und Nachhaltigkeit.

Malerisch gelegen und voller kulinarischer Genüsse: In Southwark, am Fuße der London Bridge, unter den Eisenbahnbögen, findet man ihn, den Borough Market. Zuweilen bekannt als einer der ältesten Lebensmittelmärkte Londons, dessen Wurzeln bis ins 13. Jahrhundert zurückreichen, haben ihn vielleicht auch einige im dritten Teil der Harry Potter Filmserie (Der Gefangene von Askaban) oder auch bei Bridget Jones (Schockolade zum Frühstück) wiedererkannt. Doch normalerweise werden hier, wie schon seit Jahrhunderten, ganzjährig Lebensmittel verkauft. Zwar ist der Markt eine Anlaufstelle für Delikatessen und Spezialitäten aus der ganzen Welt, die überwiegende Mehrheit der Produkte stammt aber von lokalen Erzeugern und Bauernhöfen in der Umgebung. Und mitten im Marktstand Turnips – übersetzt Rüben – liegt das gleichnamige Restaurant Turnips von Tomas Lidakevicius.

 

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Vom Pop-Up zum etablierten Restaurant

Begonnen hat alles mit dem Lockdown 2020, als Charlie Foster vom gleichnamigen Gemüsestand-Stand und Tomas Lidakevicius das Turnips zunächst als Pop-up-Unternehmen gegründet hatten. „Charlie belieferte bislang die Londoner gehobenen Lokale, die coronabedingt auch geschlossen hatten. Und er wollte wieder etwas tun“, erinnert sich Lidakevicius, „Seine Idee war, ein Pop-Up-Lokal mitten im Marktstand zu eröffnen, das mit den besten Produkten von Turnips kocht und sich darüber hinaus von anderen Marktständen inspirieren lässt.“

Gesagt, getan: nach nur knapp zwei Wochen war die Pop-Up Variante in der Markthalle realisiert – in einem Schiffscontainer, der täglich ein- und ausgeräumt werden musste. Und der Erfolg gab den beiden Recht. Nicht überraschend also, dass der Übergang vom Pop-Up zum festen Lokal nach dem Ende des Lockdowns ohne große Probleme verlief: „Wir wussten, dass dieses Projekt nicht nur Potenzial hatte, sondern auch etwas Außergewöhnliches werden würde. Wir hatten von dem Moment an, als das Restaurant eröffnet wurde, unglaubliche Reaktionen“, sagt der gebürtige Litauer. „Wir haben sowohl die Stärken als auch die Schwächen identifiziert und überlegt, was wir mit unseren Ressourcen machen können.“ Heute ist das Turnips ein Lokal mit zwei Konzepten und Speisekarten: Fine Dining mit 40 Plätzen und ein zweiter Bereich mit 70 Plätzen mit einfacheren Gerichten.

Das Restaurant Turnips von innen mit Gästen

Image: MEMO Agency

Von der Baustelle in die Sterneküche

Koch zu werden war nicht unbedingt sein Traum: Mit 16 Jahren wurde Tomas Lidakevicius auf eine Kochschule in Litauen geschickt: „Meine Eltern kannten meine Stärken und Leidenschaften. Sie wussten, dass eine Karriere als Bäcker oder Jurist nicht das Richtige für mich wäre“, so der Chefkoch. „Also ermutigten sie mich, es im Gastgewerbe zu versuchen, eine Ausbildung zum Koch zu machen. Weil das ein Beruf ist, der immer nützlich sein wird. Als ich immer mehr lernte, verliebte ich mich in diesen Beruf.“

Was ich am Kochen so sehr mag, ist der Druck, die Kreativität und zu sehen, wie die Leute mein Essen genießenTomas Lidakevicius

Nach seinem Abschluss zog der abenteuerlustige 20jährige auf Anraten eines Freundes nach London: „Ich war auf der Suche nach Inspiration und Motivation. Mein erster Job in London hatte nichts mit der Restaurantwelt zu tun – ich arbeitete auf einer Baustelle. Aber die Küche rief mich trotzdem. Sobald ich die Gelegenheit hatte, arbeitete ich in der Küche eines privaten Clubs“, erinnert sich der heute 35jährige. Dann konnte er bei Galvin at Windows anheuern: „Diese Begegnung hat mein Leben für immer verändert. Was ich wirklich suchte, war das Maß an Freude und Leidenschaft, das ich in der Küche zu spüren begann“, so Lidakevicius. Weitere Stationen waren das Texture und Corrigan’s, bevor er zu Jason Atherton ins Sterne-Lokal City Social wechselte.

Tomas Lidakevicius

Image: Nic Crilly Hargrave

Turnips – lokale und saisonale Küche

Das Turnips ist laut Lidakevicius ein Restaurant ohne Grenzen: „Wir folgen unserem Instinkt und verwenden saisonale [lokal produzierte] Produkte, die nur zwei Schritte von der Küche entfernt sind“, so der Chef. „Ich beginne meinen Tag buchstäblich mit einem Spaziergang rund um den Turnips-Stand.“ Die Hauptzutaten seiner Gerichte, Obst und Gemüse, kommen natürlich vom eigenen Stand: „Aber für Fleisch, Fisch und Käse verlassen wir uns auf die anderen Stände auf dem Borough Market. Wir verbinden uns mit dieser unglaublichen Gemeinschaft, die wir hier haben“, konstatiert der Kochkünstler. „Die Mittag- und Abendessen werden mit Herzblut gekocht und sind voller Aromen; nichts ist erzwungen, und alles geschieht so, wie es sein soll.“

Kreative Gerichte mit Gemüse

Angesichts der doch eher fleischlastigen Küche, mit der Tomas in Litauen aufgewachsen ist, und seiner 15-jährigen Tätigkeit in Londons Spitzenrestaurants, mag die Speisekarte auf den ersten Blick vielleicht für Verwunderung sorgen. Denn sie besteht in der Regel zu 80 % aus Gemüse und zu 20 % aus Eiweiß. Jedoch hat sich der Küchenchef noch nie gescheut, neue Wege zu beschreiten und zeigt auf eindrucksvolle Weise wie vielfältig und lecker seine Art zu kochen ist.

 

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„Wir können mit Obst und Gemüse so kreativ sein. Bei Gemüse gibt es so viele Sorten, jede mit einem besonderen Geschmack, und wir können alle möglichen Techniken anwenden: einlegen, trocknen, dämpfen“, sagt der Koch. Dass Gemüse bei ihm der Star auf dem Teller ist, beweist auch ein Gericht mit Zwiebeln aus den Cevennen: „Das ist nicht irgendeine Zwiebel, sondern die Cevennen sind eine Sorte, mit einem so intensiven Geschmack, dass es einen schier umhaut“, schwärmt der Spitzenkoch.

Und dass es ihm diese besondere Zwiebel besonders angetan hat, merkt man. Denn obwohl es kein typisches Signature-Gericht im Turnips gibt, so fügt er an: „Vielleicht ist es´ Käse und Zwiebel´ mit der Cevennen-Zwiebel, weil das eine fantastische Kombination aus zwei Geschmacksrichtungen ist. So einfach und gleichzeitig so stark“, überlegt Tomas Lidakevicius und meint weiter, dass dies auch Bestandteil seines Lieblingsgerichts im Turnips – die Zwiebel aus den Cevennen mit Parmesansauce und Waffel sei. Eine besondere Lieblingszutat hat er jedoch nicht: „Vielleicht könnten Pilze ganz oben auf meiner Liste stehen.“

Stillstand und immer nur das gleiche anbieten, will der Mitdreißiger auf keinen Fall und versucht deshalb dieselben Gerichte nicht zu lange auf der Karte zu haben: „Wir wollen vermeiden, dass sie sich wiederholen. Stattdessen wollen wir uns weiterentwickeln, Ideen vorantreiben, immer wieder etwas Neues schaffen und immer bessere Gerichte zubereiten.“ Und genau aus diesem Grund könnte er nie zu lange die gleiche Speisekarte, die gleichen Gerichte im Restaurant anbieten: „Wir ändern uns mit der Mikro-Saisonalität und mit der Geschwindigkeit unserer Ideen“, konstatiert der Küchenchef, der sich gemeinsam mit seinen nur sechs weiteren Mitarbeitern um die Gäste kümmert.

Tomas Lidakevicius und sein Team im Restaurant Turnips

Image: Nic Crilly Hargrave

Wenn Convenience dann die eigene

Nachhaltigkeit und Zero Waste sind fester Bestandteil des Restaurantkonzepts: das Turnips nutzt eigene Reste aber auch überschüssige unverkaufte Produkte vom Marktstand, die sonst weggeworfen werden würden. Diese Lebensmittel sind oft nur das Ergebnis einer Überbestellung oder werden nicht verkauft, weil sie nicht mehr gut aussehen. Die Lebensmittel deswegen aber nicht mehr zu verwenden oder gar wegzuwerfen, macht in den Augen des Vollblutkochs schlichtweg keinen Sinn. „Ich habe früher oft meiner Großmutter geholfen beim Einmachen, Einlegen und Fermentieren“, erläutert der Koch. Und so zaubert er aus genau diesen „übrigen“ Lebensmitteln im Turnips leckere Brotaufstriche, Eingemachtes oder seine eigene Convenience.

Handelsübliche Convenience hingegen ist nicht seine Welt: „Bei Turnips verwenden wir in erster Linie frische Zutaten, die wir aus unserer Küche beziehen“, sagt Tomas Lidakevicius. Einfrieren ist aber Ok: „Manche Zutaten lassen sich besser einfrieren und dann zubereiten, damit ihre Form oder Textur erhalten bleibt“. Auch machen vegane Fleischersatzprodukte in seinen Augen nicht viel Sinn: „Ist es wirklich notwendig, ein industriell hergestelltes Produkt mit so vielen Zusatzstoffen zu konsumieren, das den Geschmack und die Konsistenz von Fleisch nachahmen soll? Das erscheint mir widersprüchlich“, so der Koch, „Menschen, die sich für eine vegane Lebensweise entscheiden, sollten Obst und Gemüse essen“.

 

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Griff nach dem (Michelin) Stern

Für die Zukunft hat der ambitionierte Koch-Visionär noch große Pläne: „Der größte Traum ist natürlich, eines der besten Restaurants der Welt zu werden. Denn es gibt nirgendwo sonst einen Ort wie das Turnips. Wenn wir uns umschauen – die Lage, die Produkte, die wir haben, das Fine-Dining-Erlebnis, das wir bieten!“ Und der erste Schritt dahin, ist ihm und seinem Team 2023 mit der Erwähnung im Guide Michelin schon mal gelungen: “Interesting small plates are accompanied by a tasting menu of creative modern dishes – most of the produce doesn’t have far to travel!”

Wir sagen: Weiter so! Und wünschen seinem Team und ihm nur das Allerbeste!

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