Ihr Browser ist veraltet. Es kann sein, dass nicht alle Funktionen dieser Websites angezeigt werden. Wir empfehlen, einen dieser Browser oder Versionen zu verwenden Mozila Firefox oder Google Chrome

Connect
To Top

Nur Reif pfeift

Von: Lesezeit: 4 Minuten

Zart muss es sein: Schwein, Rind, Ziege und Kalb werden aufs edelste gereift. Im Check deshalb hier die besten Methoden, was mikrobiologisch hinter der Fleischreifung steckt und warum Geflügel keine gute Figur im Reifeschrank macht.

Genau genommen geht’s um kontrollierte Verwesung. Fleischreifung klingt aber netter. Dahinter steckt tatsächlich mehr Wissenschaft, als auf den ersten Bissen zu erahnen wäre. Um sich aber für das gereifte Stück zu entscheiden, das am meisten Spaß auf der Zunge macht, lohnt sich der kleine Exkurs in die Tiefen des Reifeschranks.

Gut Ding will Weile haben

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Fleisch aufs Edelste zu trimmen. Der Vorgang der Reifung ist ein Veredelungsprozess, der einige Zeit in Anspruch nimmt. Gutes braucht eben seine Zeit. Die Fleischreifung hat seine kulinarische Berechtigung, weil sie aus einem zähen Stück Fleisch, was es nach der Schlachtung eben ist, ein genießbares Lebensmittel macht. Das Abhängen von Fleisch – egal, ob Rind, Schwein oder Wild– ist ein Reifungsprozess, der ohne englische Bezeichnung oder Megahype bereits seit Jahrhunderten gemacht wird. Aus dem Abhängen und der kontrollierten Reifung wurde aber in den letzten Jahrzehnten eine eigene Wissenschaft. Ganz grob erklärt: Bei der Reifung wird den natürlichen Enzymen, die sowieso im Fleisch enthalten sind, Zeit gelassen, das Muskelfleisch langsam zu zersetzen, sodass es statt hart und zäh weich und zart wird. Übrigens: Bei der Trockenreifung kann das enthaltene Fett reifen. Deshalb wird beispielsweise Wagyu hauptsächlich nass gereift, damit das Fett nicht ranzig wird. Sonst schmeckt und riecht es ganz schnell nach Frittenbude.

Zeit zum Reifen

Der eine schwört auf trockenes Abhängen – auch Dry Aging genannt, auf Englisch klingt’s halt gleich viel edler –, andere auf die Reifung im Vakuum, wieder andere lassen sich immer Neues einfallen. Dazu gehört auch Dirk Ludwig, der das Aqua Aging und die Aschereifung erfand, bei der Fleischstücke in Buchenholz-Asche reifen und so ein rauchiges Aroma entwickeln. Beim Aqua Aging wird das Fleisch vier Wochen in Mineralwasser eingelegt, bis es seine optimale Reife erreicht. Dass zu diesem Prozess, den Ludwig Aqua Aging genannt hat, mehr gehört, als Fleisch in eine Badewanne mit Sprudelwasser zu legen, hat der Fachmann schnell begriffen. Das Fleisch reift eingelegt im Mineralwasser in einem speziellen Behälter: Das richtige Verhältnis von Wasser, Mineralien, Kohlensäure und Fleisch ist dabei ganz entscheidend. Durch das Mineralwasser bleibt das Fleisch saftig und zart, außerdem soll es einen mineralischen Geschmack erhalten. „Die verrückte Idee, Fleisch in Mineralwasser einzulegen, entstand aus meiner Unzufriedenheit mit dem Wet Aging im Vakuumbeutel“, erklärt Ludwig, der den Betrieb Der Ludwig in Schlüchtern in vierter Generation führt. „Das Fleisch bleibt beim Wet-Aging-Verfahren zwar sehr saftig, allerdings hat es durch die Milchsäurebakterien eine leicht säuerliche Note, die ich unangenehm finde.“

Ein kleiner wissenschaftlicher Exkurs

Die natürliche Fleischreifung beginnt direkt nach der Schlachtung. Nach dem Schlachten wird die im Fleisch gespeicherte Energie, das Kohlenhydrat Glykogen, das in allen Muskeln gespeichert ist, abgebaut. Dabei entsteht Milchsäure. Wird das Fleisch nach der Schlachtung vakuumverpackt, kann die Milchsäure weiterarbeiten. Das ist überhaupt nicht gefährlich. Sie sorgt nur dafür, dass das Fleisch einen leicht säuerlichen Geruch und Geschmack haben kann, wenn der Beutel geöffnet wird. Deshalb empfiehlt Frank Albers, der Fleischhändler, der international mit Produzenten zusammenarbeitet: „Fleisch aus dem Vakuumbeutel sollte noch drei bis vier Tage offen und trocken in den Kühlschrank gelegt werden.“ Dann verliert es den säuerlichen Geschmack, wofür die Milchsäure verantwortlich ist. Beim Dry Aging haben die Milchsäurebakterien keine Chance, da das Fleisch trocken gelagert wird. Ludwig: „Auch deshalb wurde das Dry Aging in den letzten Jahren so populär.“ Allerdings hat die Nassreifung auch Vorteile gegenüber der Trockenreifung: Vakuumverpacktes Fleisch braucht bei der Lagerung und dem Transport weniger Platz. Außerdem trocknet das Fleisch nicht aus und verliert damit auch weniger Gewicht. Beim Dry Aging beträgt der Flüssigkeitsverlust bis zu zehn Prozent. Zudem muss die äußere trockene Schicht abgeschnitten werden, sodass noch einmal bis zu 15 Prozent Verlust hinzugerechnet werden müssen. Albers: „Wird das Fleisch am Knochen gereift, verringert sich der Abschnitt, da dort, wo der Knochen liegt, keine trockene Stelle entsteht.“

Eignet sich jedes Stück Fleisch zum Reifen? Nein. Image: Fotolia / milanchikov

beef dry aging / Image: Fotolia / milanchikov

Wieso aber überhaupt trocken reifen, wenn der Verlust bis zu ein Viertel betragen kann? Weil’s geil ist! Das Fleisch bekommt einen nussigen Geschmack mit vielschichtigem Aroma. Das macht den Verlust hundertfach wieder wett. Dry Aging ist allerdings auch ein zeitaufwendiges und pflegeintensives Verfahren, was das Fleisch entsprechend teuer macht. Aber zurück zum Aqua Aging von Herrn Ludwig.

Wenn die Milchsäure das Fleisch sauer macht, wieso dann noch extra in Kohlensäure baden? „Säuren wie zum Beispiel Essig werden beim Einlegen von Fleisch verwendet, um es zart zu machen und saftig zu halten. Daher kam mir die Idee mit der Kohlensäure, das Fleisch kann so auf natürliche Weise reifen“, erklärt Ludwig. Nach vielen Versuchen und der einen oder anderen Wasserleiche hat es Ludwig geschafft, die Methode auszutüfteln. Zur Aqua-Aging-Reifung eignen sich Schwein, Lamm und Rind. Aktuell landen Rumpsteaks oder auch Rib-Eye-Steaks der Metzgerei im Mineralwasser.

Ein anderer Verrückter hat sich vor zehn Jahren überlegt, dass Schimmel und Fleisch so gut zusammenpassen wie Schimmel und Käse. Die Rede ist von Mikrobiologe Lucas Oechslin. Gemeinsam mit seinem langjährigen Freund Marco Tessaro hat er Luma Delikatessen gegründet. Auf zwei Quadratmeter Reifekammer haben die zwei Macher vor zehn Jahren ihr Verfahren getestet. Heute vertreiben sie rund 40 Tonnen Luma Beef und um die 80 Tonnen andere fleischige Delikatessen. Der Weg dorthin ist von vielen Testreihen mit verschiedenen Pilzen und ungläubigen Gesichtern geprägt. Wer aber einmal das intensive Fleisch getestet hat, weiß, warum die Männer nicht aufgegeben haben. Um den Edelschimmelpilz, der in der Natur vorkommt, in der Lebensmittelbranche verwenden zu dürfen, muss er kontrolliert und unter ganz bestimmten Bedingungen gezüchtet werden. Nur so ist garantiert, dass der Pilz in seiner reinsten Form verwendet wird. Die abgestimmte Temperatur und Luftfeuchtigkeit sind die Grundlagen für einen erfolgreichen Reifungsprozess.

Im Kühlraum durchwächst der Pilz das Fleisch gleichmäßig. Je nach Größe und Konsistenz lagern die Stücke zwischen drei und acht Wochen im Kühlraum. In dieser Zeit bildet der Pilz ein weißes Mäntelchen auf der Fleischoberfläche, den Fruchtkörper. Das Enzym des Pilzes bewirkt die Geschmacksveränderung und baut die Totenstarre sowie das Kollagen ab, welches das Fleisch zäh macht. Im perfekten Reifezustand wird das Fleisch schockgefrostet und vertrieben. So ist es zwei Jahre haltbar. Aufgetaut sollte das Fleisch innerhalb von ein bis zwei Wochen verwendet werden, sonst verändert es seinen Geschmack. Auch Schwein impfen sie mit dem Edelschimmelpilz.

„Der Geschmack des gereiften Schweinefleischs ist weniger intensiv als das Beef. Es erinnert an Fois gras, Macadamia und Cognac. Massentauglicher“, beschreibt Oechslin. „Das Luma-Rind wird hingegen erdig, pilzig, käsig, nussig, mit einem Rohschinkenaroma – etwas für echte Fleischfreaks.“ Der Schweinerücken wird nur rund fünf Wochen gereift im Gegensatz zum Rinderrücken, der rund sieben Wochen benötigt. Die Reifung erinnert von den Bedingungen an die Dry-Aging-Methode – nur eben mit Pilz.

Reifeprüfung

Eignet sich jedes Stück Fleisch zum Reifen? Nein. Auch wenn die Reifung erst nach der Schlachtung beginnt, spielt schon bei der Auswahl des Fleisches, das gereift werden soll, die Qualität eine übergeordnete Rolle. Zuallererst ist wichtig, dass nicht jedes Stück Fleisch besser wird mit der Reifung. Kaninchen, Schweinebraten vom Kamm oder Bauch oder eine Lammschulter können auch ganz ohne Reifung – allerdings schnell mit Salz eingerieben, sonst setzt die Totenstarre ein – richtig gut schmecken. Allerdings ist diese Nullreifung oft nur bei der Hausschlachtung oder sofortiger Schockfrostung möglich, da die Transportwege zwischen Schlachtung und Verarbeitungsort zu lang sind.

Grundsätzlich ist Geflügel kein guter Reifepartner. Die enthaltenen Enzyme brauchen zwar ebenfalls ein paar Tage, um das Kollagen abzubauen, aber mehrere Wochen im Reifeschrank würden ihm nicht guttun, Warum? Das liegt hauptsächlich an der Größe. Genauer gesagt an dem enthaltenen Wasser. Dieses verdunstet bei der Fleischreifung – zumindest bei allen hier vorgestellten Reifemethoden außer beim Wet Aging. „Auch Schweinefilets sehen nach ein paar Wochen im Reifeschrank aus wie Schnürsenkel“, schmunzelt Albers. Bei großen Stücken lohnt sich diese Art der Veredelung also wirklich. Perfekt gereift ist Schwein, Rind, Kalb oder Ziege, wenn man all die Wissenschaft hinter den Reifemethoden mit dem ersten Bissen vergisst.

Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

More in Food Trends