Der große Computercrash ist ausgeblieben. Und auch Weltuntergang gab es keinen. Dafür wurde Wikipedia gegründet, Facebook ging online und die ersten Smartphones kamen auf den Markt. Blasse, abgemagerte Models stolzierten über die Laufstege und Halle Berry nahm sichtlich gerührt als erste schwarze Frau ihren Oscar entgegen. Willkommen in den 2000ern, einem Jahrzehnt, in dem Globalisierung und Popkultur neue Höhen erreichten und Nachhaltigkeit sowie Umweltbewusstsein allmählich ins Zentrum gesellschaftlicher Debatten rückten. Die 2000er waren aber auch von Ereignissen geprägt, die uns alle erschütterten. Wie etwa der 11. September 2001 oder der Tsunami im Indischen Ozean, der 2004 mehr als 230.000 Menschen das Leben kostete und weitere 1,7 Millionen Menschen obdachlos machte.
Diese Katastrophen änderten nicht nur unsere Sicht auf die Welt, sondern auch unser Essverhalten. Fand man unter den Food Trends der 90er eine stark gestiegene Nachfrage nach Gerichten der internationalen Küche, so stieg in den 2000ern die Sehnsucht nach „Comfort Food“, also traditioneller Hausmannskost, die Trost spenden sollte. Ganz abgekommen von der internationalen Küche ist man aber nicht, denn auch die ethnische Küche, insbesondere die asiatische und lateinamerikanische, gewannen weiterhin an Popularität. Während die Menschen einerseits von Diäten und Superfood nahezu besessen waren, an Karotten knabberten oder Smoothies schlürften, boomten andererseits Kalorienbomben wie Cupcakes, Cake-Pops und Macarons. Generell scheint die kulinarische Szene in den 2000ern von Gegensätzen und Wandel gezeichnet zu sein. Es lohnt sich also, die Food Trends der 2000er-Jahre näher zu beleuchten, um die moderne Küche besser zu verstehen.

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Food Trends der 2000er: Cupcake Craze
Im Gegensatz zu den meisten anderen Food Trends, lässt sich beim Cup Cake genau festlegen, wann und wo er zum amerikanischen In-Gebäck wurde. Mehr noch, wir wissen sogar, wie lange es gedauert hat: lediglich 20 Sekunden. Denn genau so lange dauerte die Szene in der Episode „Hindernislauf“ (Originaltitel: No Ifs, Ands or Butts) der Serie „Sex and the City“, die am 9. Juli 2000 erstmals ausgestrahlt wurde. Zu sehen waren die Hauptfiguren Carry und Miranda, die auf einer Bank vor der berühmten Magnolia Bakery saßen und über Carrys neueste Flamme Aidan sprachen. Dabei hielt die Frischverliebte einen Cupcake mit pinkem Frosting in der Hand, biss ab und lächelte verliebt. Schon kurz darauf bemerkte Jennifer Appel, die Gründerin der Magnolia Bakery, dass sich ihre Durchschnitts-Kundschaft veränderte: Plötzlich standen vorwiegend junge, auffallend schlanke Frauen vor ihrem Laden Schlange. Und alle wollten Cupcakes haben.
Aber warum stieg ausgerechnet der Cupcake, der bis dahin hauptsächlich auf Kindergeburtstagen für Begeisterung gesorgt hatte, nach nur einem Fernsehauftritt zum trendigsten Dessert New Yorks auf? Andere Produkte wie Schuhe von Manolo Blahnik oder Cosmopolitans mussten viel öfter in der Serie gezeigt werden, um ähnlich populär zu werden. Nun ja, zum einen mag es vielleicht daran liegen, dass Cupcakes billiger als Designer-Pumps sind und – im Gegensatz zu Cocktails – auch tagsüber konsumiert werden können. Zum anderen fällt der Cupcake-Trend zeitlich mit Veränderungen in der Medienwelt und dem Aufkommen von Social Media zusammen. Kochsendungen erreichten nun ein Massenpublikum, und der New Yorker Fernsehsender Food Network entwickelte mit „Cupcake Wars“ – einem Wettbewerb, bei dem Bäcker gegeneinander antraten –, sogar ein eigenes Format für Cupcake Fans. Doch auch 9/11 könnte zur Beliebtheit der bunten Nachspeisen beigetragen haben, weil sich die Menschen danach zunehmend nach Sicherheit und Geborgenheit sehnten – und süße Cupcakes halfen, dieses Bedürfnis zu stillen.

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Comfort Food – Essen für die Seele
Es mag befremdlich klingen, dass man sich in schweren Zeiten mit dem Thema Essen beschäftigt, tatsächlich aber griffen die Amerikaner nach diesem einschneidenden Ereignis nicht nur vermehrt zu süßen Snacks, sondern auch zu traditioneller, deftiger und kalorienreicher Hausmannskost. Gerichte wie Hackbraten, Chicken Pot Pie und Mac’n Cheese schienen Trost zu spenden, weil sie Kindheitserinnerungen weckten und ein Gefühl von Geborgenheit vermittelten. Rein wissenschaftlich betrachtet, liegt dies vor allem daran, dass diese Speisen reich an Kohlenhydraten und Fetten sind, die direkten Einfluss auf das Belohnungssystem im Gehirn haben. Insbesondere Kohlenhydrate führen dazu, dass vermehrt Serotonin – das auch als Glückshormon bekannt ist – produziert wird.
Und obwohl dieser Trend keinesfalls neu ist (wer kennt es nicht, dass Essen Trost spenden kann?), so tauchte der Begriff Comfort Food in seiner modernen Bedeutung erst in den 70er-Jahren auf und etablierte sich erst in den 2000er-Jahren zu einem Food Trend. Eine der ersten, die ihn verwendete, war die amerikanische Schauspielerin und Sängerin Liza Minelli, als sie in einem Interview von Hausmannskost schwärmte. Damals fielen vor allem verschiedene Kartoffelgerichte und Hühnersuppe in diese Kategorie. Im Laufe der Jahrzehnte verlagerte sich der Fokus aber auf herzhafte und süße Gerichte. Eigene Comfort Food-Kochbücher kamen auf den Markt und selbst Restaurants setzten bald deftige Hausmannskost auf die Speisekarte. Man möchte meinen, dass die vielen Diättrends, die ab den 1990ern an Popularität gewannen, das Verlangen nach Comfort Food einbremsen würden. Doch sämtliche Geschehnisse der 2000er wie auch die Finanzkrise 2008 oder später die COVID-19-Pandemie 2020 beweisen das Gegenteil.
2000er– Aufstieg der New Nordic Cuisine
Das Konzept, das heute als New Nordic Cuisine bekannt ist und zu den bedeutendsten Food Trends der 2000er-Jahre zählt, fand seine Inspiration – anders, als es der Name vermuten lässt – in alten Traditionen und Zutaten der Vergangenheit. Zu den Pionieren dieser Bewegung zählen die beiden dänischen Köche René Redzepi und Claus Meyer. Sie gründeten 2003 in Kopenhagen das heute weltbekannte Restaurant Noma, dessen Name aus den dänischen Wörtern nordisk (nordisch) und mad (Essen) zusammengesetzt ist.
Auf der Suche nach Ideen für neue Rezepte stießen sie auf ein Überlebenshandbuch der schwedischen Armee, in dem beschrieben wurde, wie man sich im Krieg von Lebensmitteln aus der Natur ernährte. So liegt auch der Fokus der New Nordic Cuisine auf lokalen und saisonalen Zutaten wie Fisch, Fleisch und Gemüse aus der Region, sowie Kräutern, Beeren und fermentierten Lebensmitteln. Mit ihren kreativen Interpretationen nordischer Gerichte – also der Rückbesinnung auf die Natur und alte Traditionen, kombiniert mit einer modernen, oft minimalistischen Ästhetik – revolutionierten die Noma-Gründer die nordische Küche, die bis dahin als solide, aber langweilig gegolten hatte.
Doch nicht nur das. 2004 unterschrieben René Redzepi und Claus Meyer gemeinsam mit zehn anderen nordischen Spitzenköchen in Kopenhagen das New Nordic Food Manifesto und machten dadurch nicht nur die internationale Gastronomie auf die nordische Küche aufmerksam, sondern prägten die moderne Esskultur nachhaltig.

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Von Fast to Slow Food
Ja, es war eine Revolution. Wenn auch eine langsame. Ins Leben gerufen wurde die Slow-Food Bewegung 1986 vom italienischen Publizisten und Soziologen Carlo Petrini. Einer der Auslöser war die Eröffnung einer McDonald’s Filiale in der Nähe der berühmten Spanischen Treppe in Rom. Am Fuße eben dieser rief Petrini – als Gegenbewegung zur schnellen und gedankenlosen Nahrungsaufnahme – zu einem öffentlichen Protest-Essen mit traditionellen italienischen Speisen auf. Damit wollte er verhindern, dass lokale Lebensmitteltraditionen verloren gehen. Bis die Slow-Food-Bewegung von Europa nach Amerika überschwappte, sollte es noch länger dauern. Als Food Trend der 2000er gewann sie schließlich weltweit an Bedeutung.
Heute ist die Slow-Food-Organisation in rund 160 Ländern aktiv und setzt sich für ein sozial und ökologisch verantwortungsvolles Lebensmittelsystem ein, das Menschen und Tiere, aber auch die Umwelt und das Klima schützt. Für den deutschen Zukunftsforscher Matthias Horx ist Slow Food sogar einer von 18 Trends, die unsere Zukunft im Bereich Ernährung nachhaltig beeinflussen.