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Esben Holmboe Gang aus dem Maaemo: Norwegens stiller Kulinarik-König

Von: Lesezeit: 4 Minuten

Mit dem Restaurant Maaemo hat Esben Holmboe Gang Norwegens Gastronomie revolutioniert und die neue nordische Küche weltweit zum Strahlen gebracht: Warum der stille Däne dennoch nicht viel vom Rampenlicht hält – und Grenzen braucht, um wirklich kreativ zu sein.

Esben Holmboe Gangs Geschichte beruht auf einem Missverständnis. Und doch ist sie eine der erfolgreichsten, die die internationale Spitzengastronomie jemals hervorgebracht hat.

Bis heute gilt der Mastermind des Drei-Sterne-Restaurants Maaemo in Oslo als Aushängeschild der New Nordic Cuisine. Jener Küche also, die vor knapp zwanzig Jahren von Skandinavien aus ihren Siegeszug antrat – und bis heute Gourmets aus aller Welt in ihren Bann zieht.

Kalbsbries mit Sommererbsen und Lavendel serviert auf einem großen weißen Teller

Image: Koski Syvari

Was sie ausmacht, ist auch im Jahr 2023 am Puls der Zeit: Regionalität, Saisonalität, Nachhaltigkeit und geschmackliche Reduktion auf das Wesentliche – kein Wunder also, dass sie effekthascherische Trends wie etwa die Molekularküche vollends verdrängt hat. Die Sache ist nur die: Esben Holmboe Gang hat eigentlich nichts mit dieser New Nordic Cuisine zu tun. Ja, der heute 41-Jährige weiß nicht einmal, was diese New Nordic Cuisine genau sein soll. „Ich halte den Begriff für falsch“, sagt Gang ganz unverblümt, „weil er für die vielen individuellen Küchen von Dänemark über Schweden bis nach Norwegen einfach zu grob ist.“ Deswegen will Gang auch gar nicht, dass seine Küche als New Nordic Cuisine bezeichnet wird, sondern als eine Küche, „die lediglich die Umgebung reflektiert, in der ich lebe.“ Reicht so ein achselzuckendes Understatement, um seine Erfolgsgeschichte zu verstehen?

Esben Holmboe Gang: Im Maaemo zu Hause

Gang war gerade einmal 28 Jahre alt, als er das Maaemo – das im Altnordischen so viel heißt wie „Mutter Erde“ – eröffnete. Das ist mittlerweile 13 Jahre her. Im Gegensatz zu vielen anderen seiner Drei-Sterne-Kollegen – ob nun nordisch oder nicht – geht der gebürtige Däne seiner Arbeit jenseits des Rampenlichts nach. Medienwirksame Four-Hands-Dinner, hippe Pop-ups, luxuriöse Werbepartnerschaften – all das überlässt der ohnehin von Natur aus ruhige Charakter den anderen. Nicht einmal ein Instagram-Profil hat er. Und das Erstaunlichste: Die Antahl seiner Projekte abseits seines Maaemo sind sehr überschaubar.

 

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Betritt man den Speiseraum dieser Pilgerstätte, ist es daher wenig überraschend, wie ruhig es hinter dem Tresen der offenen Küche zugeht. Da wird kaum miteinander gesprochen, während die präzisen Handgriffe der Köche eine Choreografie ergeben, die Ruhe und Virtuosität in einem vermittelt. Kein Zweifel: Esben Holmboe Gang ist hier in seinem Element. Die stille Vertiefung in seine Arbeit liegt ihm näher als der Trubel der lauten Welt da draußen. Eine Welt, in der er als Jugendlicher durchaus seine Probleme hatte.

Norwegen als Kulinarik-Wunderland

Als Kind eines Journalistenpaares wuchs der junge Esben in Frederiksberg auf, unweit von Kopenhagen. Die Scheidung seiner Eltern brachte einiges durcheinander, es verschlug ihn in eine Hippie-Wohngemeinschaft an den Rand der dänischen Haupstadt, und von der Schule wollte er bald auch nichts mehr wissen. „Warum ich eine Lehre als Koch begann, liegt daran, dass ich immer schon eine Faszination für Landwirtschaft hatte“, sagt Gang. „Aber Bauer wollte ich nie werden, sosehr mich alles drumherum auch fesselte.“ Er machte seine Lehre in einem Kopenhagener Restaurant, sammelte danach erste Erfahrungen in gehobeneren Betrieben der dänischen Hauptstadt – und zog 2001 der Liebe wegen nach Oslo. Dort brachte er es in den beiden Sternerestaurants Oro und Feinschmecker – damals beide jeweils mit einem Stern ausgezeichnet – zu federführenden Positionen in der Küche. Und entdeckte das kulinarische Potenzial, das Norwegens Natur bereithielt.

Leckeres Dessert im Maaemo: Rhabarber Creme mit Kirschblüten

Image: Koski Syvari

Das Maaemo: Die Mutter der norwegischen Gastronomie

Wobei Potenzial hier nicht mit Überfluss gleichzusetzen ist. Im Gegenteil: Gerade die kargen Wintermonate, in denen Norwegens Landschaft in kulinarischer Hinsicht gewissermaßen stillsteht, reizte Gang. „Wenn es keine Grenzen gibt und alles im Überfluss vorhanden ist, wird eine authentische Kreativität unmöglich“, ist er überzeugt. „Norwegen war einmal ein ziemlich armes Land. Die Menschen mussten sich jahrhundertelang Gedanken machen, wie sie über den Winter kommen. So wurde eingelegt, haltbar gemacht, fermentiert.“

Innerhalb dieser Möglichkeiten etwas Neues zu schaffen – das war es, warum Gang ein Restaurant mit zeitgemäßer, kreativer norwegischer Küche eröffnen wollte. Dabei sollte die Güte des regionalen Produkts im Vordergrund stehen: Ganz gleich, ob es sich dabei Obst und Gemüse aus biodynamischer Bewirtschaftung handelt, um Wild aus heimischen Wäldern oder um Fisch und Meeresfrüchte der nahegelegenen Küste. Wie puristisch und gleichzeitig raffiniert Gangs Küche ist, zeigen Gerichte wie sein berühmtes Signature-Dish, das die Auster aus dem kleinen Küstenort Bømlo in den Mittelpunkt rückt. Hier spielt Gang unglaublich virtuos mit Texturen und Temperaturen: Die kalte Austern-Emulsion bekommt eine warme, cremige Muschelsauce als Gegen-, ach was, Mitspieler, dem wiederum mit einem himmlisch chlorophyllen Dillöl der letzte Kick verpasst wird.

Jakobsmuscheln aus dem Norden mit gesalzener Butter, eingelegtem Apfel und geräuchertem Rogen von Esben Holmboe.

Image: Koski Syvari

Genauso genial ist auch Gangs Steinbutt-Kreation: Der Fisch selbst stammt aus dem „Skagerrak“ genannten Teil der Nordsee südlich des norwegischen Festlands. Über offenem Feuer vorsichtig gegart, geht von dem milden, jodigen Fleisch eine fast schon unerwartete Rustikalität aus. Doch es ist der süß-saure Kontrast der Sauce, der diesem Gericht so viel Tiefe verleiht: Stachelbeere und Apfelsaft dominieren diese leichte Fischsauce, und das ganz ohne die milde Nussigkeit des glasig gegarten Fleisches zu übertünchen. Es sind Gerichte wie diese, die zeigen: Die wahre Meisterschaft einer authentischen Terroirküche auf Spitzenniveau liegt in der Balance zwischen Purismus und Raffinesse – und diese Balance beherrscht Esben Holmboe Gang wie die wenigsten seiner Zunft.

Drei Sterne für das Maaemo

Keine zwei Jahre nach der Eröffnung des Maaemo verlieh der Guide Michelin Gangs völlig neuartiger Küche auf Anhieb zwei Sterne. Im Jahr 2016 schließlich erhielt das Restaurant den dritten Stern, zusammen mit dem Geranium in Kopenhagen, war es damit das erste Drei-Sterne-Restaurant Skandinaviens. Doch es scheint, als wäre der dritte Stern für Gang weniger Ziel als vielmehr Auftrag gewesen. Denn im Jahr 2019 übersiedelte er sein Restaurant rund 300 Meter von der ersten Adresse – und legte damit noch einen drauf: Für die Hors-d’œuvres gibt es seither eine separate, stylisch-gemütliche Lounge, bevor man hinauf in den Speiseraum begleitet wird. Mehr als je zuvor ergeben Architektur, Design und Kochkunst ein Gesamterlebnis, das in den kommenden Jahren ohne Zweifel auch für die Sternegastronomie außerhalb Norwegens wegweisend sein wird.

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Doch Sterne hin oder her: Esben Holmboe Gangs Verdienste gehen weit über all diese prestigeträchtige Auszeichnungen hinaus. Wie kein anderes Restaurant auf der Welt hat das Maaemo einem ganzen Land neues kulinarisches Selbstvertrauen eingehaucht. Dass Norwegen heute ganze 46 Sternerestaurants zählt, zeigt: Esben Holmboe Gang hat nicht nur eine neue Generation norwegischer Köche inspiriert, sondern zugleich eine ganze gastronomische Nationalkultur zum Leben erweckt. Eine Kultur, die tatsächlich mehr ist als der vage Begriff „New Nordic Cuisine“ vermuten ließe.

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