Eingebettet zwischen geschichtlich prägenden Ereignissen wie dem Fall der Berliner Mauer 1989 und den Terroranschlägen auf das World Trade Center am 11. September 2001 liegen sie: die 90er Jahre. Ein Jahrzehnt, in dem die Welt in Ordnung schien. Abgesehen von manch vermeintlich fragwürdigen Mode- und Tattootrends oder Ohrwürmern wie „Cotton Eye Joe“. Doch über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten. Und so konnten sich auch nicht alle Food Trends der 90er Jahre etablieren. Gerichte kamen, Gerichte gingen und wieder andere sind uns bis heute erhalten geblieben. Mehr noch, sie haben die Food Branche maßgeblich und nachhaltig geprägt. Es lohnt sich also, auf dieses Jahrzehnt zurückzublicken, das nicht nur schrill war, sondern auch wichtige Erkenntnisse darüber bietet, wie sich die moderne Küche entwickelt hat.
Food Trend 90s: Globalisierung der Küche
In den 90er Jahren nahm die Globalisierung deutlich an Fahrt auf. Zum einen durch das Ende des Kalten Krieges und die politische Öffnung vieler Länder, zum anderen aber auch durch die Verbreitung des Internets und moderner Kommunikationstechnologien wie E-Mail und Mobiltelefon. Exotische Zutaten und Gerichte waren plötzlich leicht zugänglich und beeinflussten die Ess- und Kochgewohnheiten von Menschen auf der ganzen Welt. So landeten immer öfter Tacos, Thai Currys oder italienische Klassiker wie Tiramisu auf den Tellern.
Besonders Sushi, das zwar schon in den 80er-Jahren an Popularität gewann, wurde in den 90ern zum globalen Phänomen. Allen voran die California Rolls – Sushi für Einsteiger, sozusagen. Wer die California Rolls tatsächlich erfunden hat, ist immer noch umstritten, das Motiv dahinter ist jedoch klar. Der Anblick von Meeresalgen war für viele ungewohnt und sie ließen deshalb die Schicht aus Nori-Algen meist übrig. Daher kamen japanische Sushi Köche aus Los Angeles oder Vancouver, auf die Idee, die Rolle einfach andersrum zu drehen, damit der Reis auf der Außenseite klebt. Und auch wenn sich heute kaum noch wer vor Meeresalgen scheut, sind California Rolls nach wie vor auf der ganzen Welt beliebt – mittlerweile sogar in Japan.
Typisches Essen 90er Jahre – Caesar Salat
Auch das nächste Gericht aus den 1990er Jahren wollen gleich mehrere Köche kreiert haben. Die wohl bekannteste Legende führt uns zurück ins Jahr 1924, nach Tijuana im Norden Mexikos. Der italienische Einwanderer Cesare Cardini betrieb dort an der Grenze zu den USA das Restaurant Caesar’s Place, das vor allem von Amerikanern frequentiert wurde, die das Alkoholverbot umgehen wollten. Am 4. Juli, dem amerikanischen Nationalfeiertag, war der Ansturm auf das Lokal besonders groß und die Vorratskammer beinahe leer. Also würfelte Cardini alles zusammen, was er finden konnte, um die Gäste doch noch satt zu bekommen: Römersalat, Knoblauchöl, Woucester-Sauce, Zitronen, Eier und Parmesan. Und fertig war der allererste Caesar Salat – zumindest, wenn man den Erzählungen seiner Tochter Rosa Glauben schenken darf. Tatsache ist: Der Caesar Salat schaffte in den 1990ern den Durchbruch.
Warum er sich durchsetzen konnte? Vermutlich weil damals das Bewusstsein für gesunde Nahrungsmittel stark gewachsen ist. In den USA war gerade die Ernährungspyramide offiziell veröffentlicht worden, die als Orientierung für eine ausgewogene Ernährung dienen sollte. Und der Caesar Salat schien perfekt zu diesem Food Trend der 90er zu passen. Ein leichter Salat eben. Dachte man zumindest. Dass es sich dabei wegen des Dressings aber um eine wahre Kalorienbombe handelte, stellte sich erst später heraus.
Food Trend der 90er: Low Fat Diät
Passend dazu ein weiteres Phänomen der 90er Jahre, welche auch als das Jahrzehnt zahlreicher Diät-Trends gelten. Auch wenn der Ursprung bereits ein paar Jahre früher lag, erlebte die Low-Fat Diät damals einen Boom und zahlreiche Lebensmittelunternehmen brachten „fettarme“ Light-Produkte auf den Markt. So auch die Fast-Food-Kette McDonald’s, die 1991 den McLean Deluxe auf die Speisekarte setzte. Einen fettreduzierten Burger, dessen Patty nur zu 91 Prozent aus Fleisch bestand. Der Rest wurde mit Wasser und Carrageen, einem Zusatzstoff aus rotem Seetang, angereichert. Bei den Kunden kam der McLean Deluxe nicht gut an. Trocken und fad soll er geschmeckt haben, was ihm letztendlich den Beinamen „McFlopper“ einbrachte. Fünf Jahre später wurde er aus dem Sortiment genommen.
Bis heute ein Star unter den Nachspeisen – Molten Chocolate Lava Cake
„Wenn die Crème brûlée das beliebteste Dessert der 1980er Jahre war“, schrieb die renommierte amerikanische Konditorin Sherry Yard in ihrem Kochbuch Desserts by the Yard, „dann ist der Schokoladentrüffelkuchen der Favorit der 90er-Jahre.“ Kein Wunder also, dass gleich zwei Köche den Molten Chocolate Lava Cake, einen kleinen Schokokuchen mit flüssigem Kern, für sich beanspruchen möchten. Und in gewisser Weise haben wohl beide Recht. Sowohl der französische Küchenchef Michel Bras, der seinen Schokoladen-Coulant (französisch für „flüssig“) 1981 in seinem Restaurant in Laguiole in Frankreich präsentierte, als auch sein Landsmann Jean-Georges Vongerichten, der sechs Jahre später quasi unabsichtlich seine eigene Version kreierte.
Bras erzählt, dass er zwei Jahre an dieser „technischen Meisterleistung“ gefeilt habe. Sein Schokokuchen besteht aus Biskuitteig sowie einer gefrorenen Schokoladenganache, die im Backrohr schmilzt und am Ende wie Lava über den Löffel fließt. Die Idee dazu kam ihm nach einem Langlauf-Tag mit seiner Familie. Das Wetter war schlecht gewesen, die ganze Familie durchfroren. Bei einer Tasse heißen Schokolade tauten sie schließlich auf, lachten und redeten miteinander. Davon inspiriert, beschloss Michel Bras diesen Moment kulinarisch festzuhalten und in ein Dessert zu übertragen. Kein leichtes Unterfangen, wie er zugibt, doch die Mühen wert, denn das Dessert eroberte rasch die Spitzenküchen auf der ganzen Welt.
Sechs Jahre später war der damals 30-jährige Jean-Georges Vongerichten gerade dabei, für eine private Feier 500 Schokoladentörtchen nach dem Rezept seiner Mutter zuzubereiten. Was er dabei nicht bedacht hatte: durch die vielen Kuchen im Ofen sank die Temperatur erheblich. „Nachdem wir sie serviert hatten, kam der Oberkellner zu mir gerannt und rief, dass der Kuchen nicht durch sei“, erinnert sich Vongerichten in einem Interview. „Also schnitt ich einen der Kuchen auf, und siehe da, er war in der Mitte flüssig. Ich konnte nicht glauben, dass ich gerade rohen Kuchen serviert hatte!“ Die Gäste hingegen reagierten mit Standing Ovations und luden den überraschten Chefkoch ein, mit ihnen zu feiern. Der heue weltberühmte Vongerichten mag zwar nicht der erste sein, der einen Schokokuchen mit flüssigem Kern servierte, sein Rezept ist aber besonders beliebt, weil es leicht nachzubacken ist.
Food Trend der 90er: Aufstieg der Molekularküche
Den Grundstein für einen weiteren wichtigen Food Trend der 90er Jahre legten ein paar Wissenschaftler. Allen voran der französische Chemiker Hervé This sowie der deutsche Physiker Thomas A. Vilgis. Sie beschäftigten sich mit den chemischen, biologischen und physikalischen Prozessen, die bei der Zubereitung von Lebensmitteln entstehen und prägten maßgeblich den Begriff der Molekularküche. Eine Bezeichnung, mit der der spanische Starkoch Ferran Adrià, nicht viel anfangen kann – er bevorzugt den Namen Avantgarde-Küche -, dennoch gilt er als einer der Mitbegründer der molekularen Küche, ebenso wie der britische Gastronom Heston Blumenthal.
In einem Raum, der eher an ein Labor statt an eine Küche erinnert, hantieren sie in den 90ern mit Pipetten, Pinzetten oder Petrischalen. Nicht selten kommen bis heute auch Trockeneis oder flüssiger Stickstoff zum Einsatz, was so nebenbei nicht gerade ungefährlich ist.
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Da drängt sich die Frage auf: Wozu das Ganze? Die Antwort der Profis: Um Grenzen zu sprengen und mittels modernster Technologien neue Texturen und Aromen zu entwickeln und Lebensmittel zu kreieren, die mehr als nur Nahrung sind. So bekommen Gäste zum Beispiel heißes Eis serviert, das beim Abkühlen im Mund schmilzt, Bonbons aus Olivenöl oder Kaviar aus Melonen. Was am Ende bleibt, ist ein Geschmackserlebnis, mit dem man nicht gerechnet hätte, und ein Food Trend der 90er, der die moderne Küche revolutioniert hat und bis heute prägt.