Das Denken und Handeln in Netzwerken dominiert seit dem rasanten Einzug der Digitalisierung unsere Arbeits- und Lebenswelt. Das führt dazu, dass Themen wie Shareness, Kollaboration und Co-Creation eine neue Ära der Wir-Kultur hervorrufen und dass, damit einhergehend, auch Orte anders genutzt werden. Mit dieser Entwicklung erlebt auch die Gemeinschaftsgastronomie einen Aufschwung, denn es wird erkannt, dass in Zeiten der Kreativökonomie Austausch, Kommunikation und Interaktion wichtige Aspekte des Arbeitsalltags darstellen.
Die Ernährungs- und Food-Expertin Hanni Rützler beobachtet, dass sich die „alten Kantinen“ von Essstationen zu Genusstempeln wandeln, die zunehmend auch Gäste außerhalb der Unternehmen offen stehen: „Die Betriebsrestaurants haben kräftig aufgeholt, die Grenzen zur Gastronomie sind mittlerweile fließend“. Die Betriebsgastronomie avanciert vor diesem Hintergrund zum „emotionalen Schaufenster der Unternehmenskultur“.
Kantinen sind und waren schon immer Treffpunkte. Nur bekommt diese Tatsache in unserer modernen, konnektiven Arbeitswelt eine neue Qualität – und sogar Notwendigkeit. Informelle Treffen in einer entspannten Atmosphäre regen kreatives Denken an, helfen beim Generieren von neuen Ideen oder führen zu zufällig und plötzlich entdeckten Möglichkeiten der Synergie.
Das bedeutet, dass sich die Anforderungen an die „neuen Kantinen“ nicht nur in Bezug auf die Qualität der angebotenen Speisen ändern, sondern auch in Bezug auf Öffnungszeiten und Raumaufteilung. Flexible, modulare Lösungen sind hier gefragt: So entstehen Räume bzw. Zonen, die nicht nur der Nahrungsaufnahme dienen, sondern auch für temporäres Arbeiten, interne Meetings oder Kundengespräche genutzt werden können.
Auch die langen Tische und Bänke, die Kantinen wie Essfabriken erscheinen lassen, verschwinden immer mehr. Im Betriebsrestaurant Kochwerk Elbe des Handelsunternehmens Otto, das Ende 2017 in Hamburg eröffnet hat, finden sich auch kleinere, abgeschlossene Räume, in die man sich nicht nur zum Essen, sondern auch zu Besprechungen zurückziehen kann: Business-Lunch 2.0.
„Healthy Hedonism“ – Essen als genussvoller Treibstoff
Eine weitere große Entwicklung treibt den Wandel in den Betriebskantinen an und dieser bezieht sich auf deren Kernleistung: das Essen. Das klassische „Kantinen-Koma“ nach einer deftigen Mittagsmahlzeit, das sich in Konzentrationsmangel und einem Absacken des Energie-Levels widergespiegelt hat, ist dadurch passé. Der Trend des „Healthy Hedonism“ steht für die Idee, dass gute Ernährung sowohl gesund als auch genussvoll sein kann – und soll. Dies läutet den Abschied von einem rein funktionalen Gesundheitsverständnis ein und streicht dabei ebenfalls den in diesem Kontext häufig aufgetretenen asketischen Zugang.
Die Silikon-Valley Riesen Google, Spotify, Dropbox & Co. haben es vorgemacht, die „traditionelleren“ Unternehmen ziehen nach: die Investition in Kantinen auf allen Ebenen lohnt.
So hat die Betriebskantine e*lounge der europäischen Hauptzentrale des internationalen Modekonzerns Esprit den Internorga-Zukunftspreises 2018 in der Kategorie Gastronomie und Hotellerie gewonnen. Das Konzept für die rund 1.000 vor allem weiblichen Mitarbeitern setzt auf „ganzheitlichen Genuss“, was nicht nur gesunde, leichte Speisen aus nachhaltiger Bio-Produktion auf den Teller bringt, sondern auch genussintensive Geschmackserlebnisse mit ökologisch geringem Fußabdruck zum Ziel hat.
Dass der Veggieday seit Jahren der stärkste Tag ist, liegt nicht nur an den überwiegend weiblichen Gästen, sondern – wie Rainer Roehl bei der Internorga-Preisverleihung betonte – auch daran, dass „das vegetarische Essen nicht einfach nur fleischlos ist, sondern international inspiriert, attraktiv und innovativ“. Das Angebot beinhaltet Smoothies und Pancakes für das Frühstück sowie Fleisch- Fisch- und vegetarische Gerichte zum Mittagessen.
Das Iki ist eine Kantine der Erste Group auf dem Erste Campus in Wien und wurde von den gefragtesten Gastronomen der Stadt in Kooperation mit dem Japan-inspirierten Mochi-Restaurant konzipiert. Bereits das Design ist ansprechend, von der Decke hängen Messinglampen, inkludiert ist auch eine offene Galerie mit Kunstwerken. Die Showküche hinter der Theke ist ein Blickfang und sorgt für eine offene, kosmopolitische Atmosphäre. Der Michelin-Sterne-Koch Alfred Schoch konnte als Küchenchef gewonnen werden, was der Kantine neben der Inneneinrichtung Prestige und Anerkennung gebracht hat. Erste-Group-Mitarbeiter bekommen von ihrem Unternehmen sechs Euro Zuschlag für den Kantinenbesuch. Mittlerweile strömen aber auch viele Gäste von außerhalb in die Kantine, die man nicht nur über das Unternehmensgebäude betreten kann, sondern auch über einen ganz normalen Lokal-Eingang. So wird es immer mehr zum Trend, zur Abwechslung auch einmal eine nahegelegene Kantine zu besuchen, statt nur in den üblichen Lokalen zu Mittag zu essen.
Kantinen als Teil der Corporate Identity
Raum erzeugt Kultur. Eine überzeugende Unternehmenskultur ist eine entscheidende Komponente, um als Arbeitgeber attraktiv zu sein und zu bleiben. Wer Mitarbeiter – potenzielle oder bestehende – nachhaltig motivieren und langfristig an sich binden will, muss nicht nur alternative Karrieremodelle, sondern auch ein Arbeitsumfeld anbieten können, das diesen neuen Werten entspricht. Betriebsrestaurants werden damit immer mehr zum elementaren Teil der Corporate Identity eines Unternehmens. Dabei spielt das gemeinsame Essen eine zentrale Rolle, besonders wieder bei den jüngeren Generationen. Die Betriebskantine wird neben seinen rein funktionalen Aufgaben in Zukunft vor allem Identifikation mit dem Unternehmen erzeugen – für Mitarbeiter und potenzielle Kunden.
So wie sich die Küche in vielen Wohnungen von einem reinen Funktionsraum hin zu einem Ort der Begegnung und Verankerung emanzipiert hat, ergeht es auch den Betriebskantinen. Die neuen Kantinen avancieren zu Wohlfühlorten, zum pulsierenden Herzstück eines Unternehmens.