Wie geht es weiter? Was kommt? Was nicht? Worauf müssen wir uns einstellen und vor allem wie? Gastronomen lechzen in Zeiten wie diesen geradezu nach Antworten auf derartige Fragen. Einige, die mehr denn je mit dem Thema Fachkräftemangel zu kämpfen haben, suchen besonders dringende Antworten – am liebsten sollten diese binnen der nächsten Wochen und Monate serviert sein. Andere wiederum, die auf langfristige Perspektiven setzen können, üben sich in Weitblicke. Und das aus gutem Grund: In den letzten fünfzig Jahren ist gastronomisch kein Stein auf dem anderen geblieben. Wie werden also erst die nächsten 50 Jahre werden?
Gastronomie der Zukunft: Das große Spiel der Daten
Ohne Glaskugel darauf eine verlässliche Antwort zu geben, erscheint zwar auf den ersten Blick als unmöglich, ist es allerdings keineswegs. Denn: Wir verfügen heute aufgrund unseres Verständnisses von Daten und deren Verknüpfung über wissenschaftliche Werkzeuge, die mit überraschend hoher Präzision heute schon das Morgen erahnen können. Und ein besonders relevanter Aspekt dabei sind so genannte Megatrends. Wer diese studiert und deren Aussagen richtig zu lesen vermag, ist in der Lage, sehr exakte Schlussfolgerungen für die (gastronomische) Zukunft zu treffen, zumindest bis ins Jahr 2040. Für die Zeit danach mag das Bild etwas unschärfer sein – doch die Grundmotive können anhand der vorhandenen Datenlage und den darauf basierend erstellten Megatrends bis inklusive 2040 sehr wohl gut herausgearbeitet werden.
Gut, klingt vielleicht doch nicht so einfach. Aber: Es gibt zum Glück Spezialisten dafür. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die nichts anderes machen, als tagtäglich anhand von Daten eben besagte Megatrends zu destillieren. Das Marktforschungsunternehmen Euromonitor mit Hauptsitz in London macht genau das – und sieht seit den 1970er-Jahren immer etwas weiter in die Zukunft als die meisten anderen.
Unter Megatrends versteht man dort fundamentale Veränderungen im Konsumverhalten, die zeigen, wie sich der Markt langfristig verändert. Solche Trends haben ihren Ursprung in unterschiedlichsten Gegebenheiten: der wirtschaftlichen Situation, den technologischen Innovationen, den demographischen Veränderungen, den veränderten klimatischen Bedingungen, aber auch kulturellen Werten. Kurz: In allem, was menschliches Verhalten mitbestimmt. Da Megatrends auf eine Vielzahl von Konsumdaten zurückgreifen, gelten sie als sehr verlässlich. Gerade im Bereich der Gastronomie, in dem viele Menschen weltweit durch Konsum zeigen, was sie wann, wie und wo gerne mögen, lassen sich Megatrends und ihre Bedeutungen erstaunlich gut zusammenfassen.
Jetzt aber Butter bei die Fische: Wie werden im Jahr 2073 Lebensmittel und Zutaten für die Gastronomie eingekauft? Wie produziert und verarbeitet? Wie wird Essen dem Endkonsumenten serviert? Sprich: Wie sieht das Gesamtkonzept der Gastronomie der Zukunft aus?
Gastronomie ist zeitlos
„Essen wird eines jener greifbaren Dinge bleiben, die wir schmecken, fühlen, riechen und mit anderen teilen und erleben wollen“, sagt Robert J. C. Munday Executive Vice President Marketing & Customer Solutions bei RATIONAL. „Und genau deswegen wissen wir auch: Gastronomie im Allgemeinen und Restaurants im Besonderen sind vom Prinzip her etwas Zeitloses: Menschen werden auch in Zukunft in eigens dafür konzipierten Lokalitäten gemeinsam essen, trinken und genießen wollen. Weil das einfach einem analogen Grundbedürfnis der Menschen entspringt. Digitalisierung hin oder her – auch in Zukunft wird niemand darauf verzichten wollen.“ Das kann Gastronomen erst einmal zuversichtlich stimmen. Aber wie genau werden wir in Zukunft schmecken, fühlen, riechen und mit anderen teilen?
Ghost-Kitchens werden die Zukunft der Gastronomie prägen
Was wir heute wissen: In fünfzig Jahren wird die Automatisierung jede Stufe der gastronomischen Produktionsprozesse durchdrungen haben. Was nach ziemlich abstrakter Zukunftsmusik klingt, hat eigentlich schon längst begonnen – und zwar in Form sogenannter Ghost Kitchens. Dabei handelt es sich bekanntlich um „unsichtbare Küchen“, in denen ohne Gastraum oder Servicepersonal, Gerichte zur Auslieferung zubereitet werden. Als unsichtbar gelten diese Küchen deswegen, weil sie vor allem in urbanen Gebieten von außen nicht wirklich als solche erkennbar sind. Und warum auch? Schließlich wird dort lediglich gekocht und mithilfe einer Lieferflotte ausgeliefert.
In 50 Jahren hingegen könnten aus besagten Ghost-Kitchens regelrechte Ghost-Produktionszentren werden: In jedem Wohngebiet, in jedem Wohnkomplex, in jedem Bürohochhaus werden sie es sein, die den Großteil der gastronomischen Lebensmittelbeschaffung und (Vor-)Verarbeitung vollautomatisch übernehmen. Infolgedessen wird sich die Anzahl der privaten Küchen deutlich reduzieren. Die Essenslieferung könnte im Jahr 2073 auf zwei Arten vonstattengehen: In der Gemeinschaftsverpflegung, einigen Teilen der Gastronomie sowie in Privathaushalten wird ein überdimensionales Netzwerk an Speiseaufzügen zwischen Ghost-Kitchens und deren Kunden eine schnelle, kostengünstige und noch dazu ressourcenschonende Lieferung garantieren.
Aber nicht nur die Lieferung auch die Produktion der Lebensmittel wird deutlich nachhaltiger sein. Um kurze Lieferwege sicherzustellen, wird der Anbau und die Produktion der Lebensmittel konventionell oder auch künstlich vorwiegend lokal bei den Menschen stattfinden – vielleicht sogar direkt in der zentralen Küche, wenigstens aber an den Fassaden oder auf den Dächern der Gebäude.
Neben den Speiseaufzügen werden aber – vor allem im B2B-Segment – auch automatisierte Drohnen intensiv zum Einsatz kommen. Erstens, weil damit größere Mengen direkt von Großhandelsmärkten oder landwirtschaftlichen Produzenten ausgeliefert werden können. Und zweitens, weil automatisierte Drohnen geradezu prädestiniert dafür sind, Zutaten in dynamischer Echtzeit Nachfrage beschaffen und verteilen zu können. Womit wir beim Thema der Zubereitung wären: Wo wird diese stattfinden? Und vor allem: wie?
Megatrends zeigen: Die Gastronomie der Zukunft hat zwei Gesichter
Zunächst einmal: Gastronomie wird im Jahr 2073 zwei Gesichter haben. Zum einen in Form von hypertechnologisierten Take-Away-Automaten. Zum anderen in Form einer durch und durch ästhetisierten Spitzengastronomie, die auf analoge, zutiefst persönliche Erfahrungen aus ist. Aber bleiben wir kurz bei den Take-Away-Automaten.
Laut Euromonitor ergeben sich diese aus zwei Megatrends, nämlich dem Phänomen von „Convenience-Food“ und jenem der „Personalisation“, also einer Entwicklung hin zu mehr individuellen Ess-Lösungen. Ein bisschen kennen wir es schon heute von bestimmten Fast-Food-Ketten, bei denen man seinen Burger nach dem „Baukastensystem“ mit einzelnen Zutaten „zusammenbauen“ kann. Jedenfalls: Diese Take-Away-Automaten werden für den Betrieb keine menschlichen Mitarbeiter brauchen, sondern alles automatisiert zubereiten können. Gut möglich, dass besagte „Bausteine“ einzelner Gerichte in Ghost-Kitchens vorbereitet werden, damit die maschinelle Zubereitungszeit dieser Automaten zusätzlich verkürzt wird. Und überhaupt: Auch 3D-Drucker werden aller Voraussicht nach ihren Teil dazu beitragen, einzelne „Bausteine“ für bestimmte Gerichte herzustellen. Immerhin gibt es heute bereits einige Restaurants, die erfolgreich auf 3D Printed Food setzen.
Durch den rasanten Aufstieg von Take-Away-Konzepten in den vergangenen Jahrzehnten ist davon auszugehen, dass solche Automaten im Jahr 2073 omnipräsent sind. Nicht nur, weil sie praktisch sind, sondern auch, weil sie durch den vergleichsweise geringen Aufwand, mit dem sie Gerichte produzieren, sehr wenig kosten werden. Natürlich: Das ist eine sehr anonyme, durchtechnologisierte Angelegenheit. Und genau deswegen ist sie für Gastronominnen und Gastronomen der Zukunft, die Restaurants als analoge Orte des Genusses verstehen, auch eine wunderbare Nachricht: Denn Gerichte, die von Menschen aus Fleisch und Blut zubereitet werden, werden auch im Jahr 2073 weiterhin gefragt sein. Nur eben, dass solchen Gerichten noch mehr Bedeutung beigemessen, noch mehr Wertschätzung entgegengebracht wird als es heute der Fall ist.
Die Gastronomie der Zukunft ist maßgeschneidert
Eines steht fest: Sowohl der Take-Away-Automat als auch das Restaurant mit echten Menschen in der Küche werden auf vernetzte Gäste angewiesen sein. Sprich: Auf Gäste mit Smartphones und Apps, falls das im Jahr 2073 überhaupt alles noch so heißt.
Warum? Erklären wir es zunächst anhand der Take-Away-Automaten: So unpersönlich, automatisiert und massenabfertigend ihr Essen aus heutiger Sicht wirken mag – es wird das komplette Gegenteil sein. Bestellvorgang und Bezahlung werden ausschließlich digital passieren. Das heißt, dass bereits beim Bestellvorgang kommuniziert wird, wie der Kunde dieses oder jenes Gericht gerne hätte. Das sagt dann nicht der Kunde selbst – sondern die Daten, die mit dem Bestellvorgang verknüpft sind: Gesundheitsdaten mit etwaigen Allergien, Echtzeitübermittelung von Nährstoffmängeln, geschmackliche sowie ethische Präferenzen – all das passiert automatisch, etwa durch Smartwatches, Chips oder Geräten, die viel unmittelbarer mit unserem Körper verbunden sind als es heute der Falls ist.
Was dabei herauskommt: Eine Mahlzeit, die alle geschmacklichen Wünsche, alle gesundheitliche Bedürfnisse binnen kürzester Zeit und noch dazu zu einem Spottpreis abdeckt. Nicht schlecht, oder? Bezeichnend dabei ist folgendes: Die Zubereitung automatisierter Speisen findet nicht mehr wie heute einseitig statt, also nach dem Prinzip: Zuerst wird vom Betrieb gekocht, dann vom Konsumenten gegessen. Sondern dieser Herstellungsvorgang wird maßgeblich vom Konsumenten in Echtzeit mitgestaltet – wenn auch nur passiv. Denn seine übermittelten Daten zum Zeitpunkt der Bestellung bestimmen mit, was in sein bestelltes Gericht hineinkommt – und was nicht.
Hat die Gastronomie der Zukunft noch echte Restaurants im Angebot?
Was wir heute wissen: Menschen werden weiterhin ins Restaurant gehen wollen. Es gibt keine Daten, die dagegensprechen. Im Gegenteil: die beiden Megatrends der „Premiumisierung“ und des „Mehr an Erlebnis“ bilden den perfekten Rahmen für das Geschäftsfeld gehobener Gastronomie.
Das bedeutet zunächst einmal eines: So wie sich die Qualität des Essens in Restaurants in den letzten Jahrzehnten massiv gesteigert hat, wird es bis ins Jahr 2073 weitergehen. Heißt im Klartext: Das Drei-Sterne-Niveau wird dann quasi Standard sein. Das liegt nicht nur, aber auch an der gesteigerten Effizienz der Produktion, die durch eine ausgebaute Ghost-Kitchen-Infrastruktur möglich wird. Frischen Brokkoli schneiden, dünsten, ganze Fische zerlegen, Fonds ansetzen, Saucen einkochen – all das wird in Zukunft nicht mehr in der (Sterne-) Restaurantküche selbst, sondern in Ghost Kitchens passieren.
Und was wird aus den QR-Codes
Und dort wiederum wird der Großteil dieser Aufgaben nicht von Menschen, sondern von Maschinen und Geräten übernommen. Das bedeutet ein Maximum an Präzision und Qualitätssicherung. Wobei man dazusagen muss: Bis es soweit ist, wird es noch dauern. Der Jungkoch von heute wird noch lange gebraucht. Bis zu seiner Rente – mindestens. Was die Köche im Restaurant dann, wenn es wirklich soweit ist, noch machen? Sie sind kreativ. Und zwar so richtig. Ihre Gerichte werden erst recht Geschichten erzählen, weil sie mit ihnen ausdrücken können, worum es ihnen wirklich geht. Und genau diese Küche wird den Gästen der Gastronomie der Zukunft dann im Speisesaal als Erlebnis vermittelt.
Beim Erzählen dieser Geschichten werden übrigens sehr wohl noch Service-Mitarbeiter eine tragende Rolle spielen und ein unverzichtbarer Teil des analogen Restauranterlebnisses bleiben. Sie aber werden von modernsten Technologien – deren Vorläufer sich heute schon abzeichnen – intensiv unterstützt werden. Stichwort: QR-Codes oder eine Abwandlung derselben. Im Restaurant der Zukunft werden sie überall zugegen sein: auf jedem Teller, auf jedem Behälter, auf den Möbeln, der Weinflasche. Sie werden zu einem niederschwelligen Medium der Interaktion zwischen dem Gastronomen und seinem Gast. Egal, ob es um die Produkte innerhalb eines Gerichtes, um den Jahrgang des Weines, die Lieferkette einer bestimmten Zutat, den Hintergedanken eines Schäumchens oder der Deko im Speisesaal geht – QR-Codes (oder vielleicht sind es gar NFT-Chips?) werden Berührungspunkte zwischen dem Restaurant und seinem Gast schaffen, die neue Maßstäbe setzen werden.
Gehen wir es also nochmal durch: Die neue Rolle der Ghost Kitchens, die Chancen der digitalen, hypervernetzten Essensbestellung, die zukünftigen Kreativitätsschübe der Köche, der Luxus eines aufmerksamen Services sowie die neuen Interaktionsmöglichkeiten zwischen Gästen und Gastronomen durch QR-Codes – all das zeichnet ein verheißungsvolles Bild für die Gastronomie, wie sie im Jahr 2073 aussehen könnte.
Kein Wunder also, dass auch Dr. Peter Stadelmann, CEO der RATIONAL AG, überaus zuversichtlich in die Zukunft der Gastronomie blickt. Wobei er eine bezeichnende Sache ganz besonders betont: „Der Unterschied zwischen Nahrungsmittelaufnahme und dem Essenserlebnis im Restaurant wird in den kommenden Jahrzehnten weiter auseinander gehen“, sagt er. „Das ist ein großartiges Szenario für Restaurants! Denn gerade sie sind es, die uns Menschen als soziale Wesen Momente bescheren, die weit über die kollektive Kalorienzufuhr hinausgehen: Durch ihre einzigartige Atmosphäre, durch ihren in Zukunft noch aufmerksameren Service und durch Gerichte, die durch eine nie gekannte Art von Kreativität Geschichten erzählen. Ich bin überzeugt: Die Technologien der Zukunft sind eine einzigartige Chance für die Gastronomie. In diesem Sinne: 2073, wir kommen!“