Der Mann wirkt so, als könne er keiner Fliege etwas zuleide tun. Kein Wunder also, dass sich der bedachte Paul Ivić ausgerechnet mit einem fleischlosen Restaurant – dem Tian – international einen Namen gemacht hat. Doch derzeit schlägt der 43-Jährige überraschend kämpferische Töne an. Bezeichnet sich gar als Waste-Warrior.
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Paul Ivić sagt dem Müll in der (Sterne-)Küche offenbar bewusst martialisch den Kampf an. Und das ist durchaus gerechtfertigt. Denn auch wenn das Nachhaltigkeitsbewusstsein in unserer Gesellschaft immer fester verankert wird, in Sachen Food-Waste müssen noch viel Sträuße ausgefochten werden. Das belegen valide Zahlen, die Food-Trendforscherin Hanni Rützler in ihrem aktuellen Foodreport zusammengetragen hat. Ihr zufolge werden laut WWF in der EU jährlich 88 Millionen Tonnen Nahrungsmittel verschwendet. Das entspricht einem Fünftel aller produzierten Lebensmittel oder 173 Kilogramm pro Kopf und Jahr, die im Müll landen.
Es geht gar nicht um die Moral
Dass es in Anbetracht hungernder Menschen verwerflich ist, Essen wegzuwerfen, ist unsereins in der Regel bewusst. Doch Hanni Rützler und Paul Ivić geht es bei ihrer „Mission Food Waste“ gar nicht um moralische Aspekte, sondern um weit mehr.
Wir vernichten also nicht bloß wertvolle Nahrung, wir vernichten gleichzeitig jede Menge Ressourcen.
Viel mehr als nur Nose-To-Tail
Einer der logischen Brennpunkte ist naturgemäß dort zu finden, wo besonders viele hochwertige Lebensmittel verarbeitet werden – in der Gastronomie. Eben hier sei anzusetzen, ist sich Ivić deshalb auch so sicher. Deshalb macht er mit dem Start-up „To Good To Go“ gemeinsame Sache. Das junge Unternehmen ermöglicht es Gastronomiebetrieben, über eine App übrig gebliebene Lebensmittel vergünstigt anzubieten. Das Ergebnis ist eine Win-Win-Situation für Gastronomen, Kunden und unseren Planeten.
Auch die Gründer von Sustainergies schlagen in die gleiche Kerbe, allerdings mit einem anderen Ansatz: Sie erstellen für Restaurants Ist-Analysen und entwickeln darauf basierend maßgeschneiderte Konzepte zur Abfallreduktion und helfen dabei, ein besseres Energiemanagement zu integrieren. „Doch“, postuliert Hanni Rützler, „innovativ nachhaltiges Kochen geht über die sinnvolle Resteverwertung und die Anwendung von Kochprinzipien wie ,Nose-to-Tail‘ oder ,Leaf-to-Root‘ hinaus.“
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Ihrer Wahrnehmung nach geht es gerade für die Top-Chefs dieser Welt in Zukunft eher darum, zu wissen, woher Lebensmittel kommen und nicht, welche man haben möchte. Soll heißen: Zwischenhändler werden gemieden, es wird ausschließlich bei lokalen Erzeugern eingekauft.
Das handhaben etwa Jacob Holmström und Anton Bjuhr vom schwedischen Sterne-Tempel „Gastrologik“ so. Sie servieren ausschließlich das, was sie am jeweiligen Tag von ihren Lieferanten bekommen. Das bedeutet, sie wissen am Morgen selbst nicht, welches Menü sie ihren Fine-Dining-Gästen am Abend servieren werden. Und auch die erfahren, was sie gegessen haben, erst nach dem Dinner – die Speiskarten gibt es hier nämlich nicht beim Betreten, sondern beim Verlassen des Lokals. Ein besonderer Kick für Gourmets, meinen die beiden Köche. Ihr mutiges Credo: „Das Nichtwissen über die Zusammensetzung der Speisen steigert das Erlebnis eines Degustationsmenüs!“ Jedenfalls aber hinterlässt es zwei Dinge garantiert nicht: Food Waste und einen schalen Beigeschmack.