Längst vorbei die Zeiten, als man nur zum Tanken zur Tankstelle fuhr und sich allenfalls noch einen Kanister Motoröl oder neue Wischerblätter schnappte, ehe man diesen ungastlichen Ort wieder verließ. Heute ist die „Tanke“ ein beliebter Treff, auch und gerade wenn schon alles andere geschlossen hat, und Benzin macht längst nicht mehr den Löwenanteil des Umsatzes aus. Schnelle Snacks und Espresso im Stehen oder für Unterwegs, Grillkohle und Getränke, Blumen, Bücher und kleine Geschenke – das alles und mehr holt man sich gern an der Tankstelle. Sogar Paketshops gibt es. Das Konzept wirkt wie ein Selbstläufer. Aber nicht erst seit Corona müssen Tankstellenbetreiber gründlich umdenken.
Tankstelle der Zukunft: Benzin wird zur Nebensache
Schon länger ist abzusehen, dass die Benzin- und Dieselverkäufe zurückgehen, wie eine Untersuchung der Wirtschaftsprüfer von KPMG zur Zukunft der Tankstellen zeigt. Carsharing und alternative Treibstoffe befördern die Entwicklung. Die Lockdown-Maßnahmen mit ihren drastischen Mobilitätseinschränkungen trugen ein Übriges dazu bei. Und weil immer mehr Fahrzeuge einer Firmenflotte angehören, sind auch individuelle Werkstattservices immer weniger gefragt. Pfiffige Tankstellenbetreiber sehen die Veränderungen als Chance, sich neu und zukunftssicher aufzustellen. KPMG schildert die Möglichkeiten:
Starke Partner
Vom Nobelrestaurant über Supermärkte mit bequemen Checkout-Möglichkeiten, Co-Working Spaces und Waschsalons bis zu Banking, Kinderbetreuung und Car-Sharing ist in der Tankstelle der Zukunft vieles denkbar. Dabei zeigt sich, wie wichtig die Kooperation mit anderen Unternehmen ist. Wer sein Angebot glaubwürdig ausweiten will, braucht starke Partner.
Und auch auf die Technologie kommt es an. Mobile Bezahlungsmethoden sind für Kunden und Mitarbeiter gleichermaßen komfortabel und bieten überdies zahlreiche Features für Nachfrage-Analyse, Warenwirtschaft und Kundenbindung. Sogar die Preise lassen sich situationsgerecht optimieren, was allen Kunden entgegenkommt, die die Preise an der Tankstelle grundsätzlich als hoch empfinden. Und das ist nicht alles. RFID-Chips an den Waren können sogar einen Blitz-Checkout des gesamten Einkaufs ermöglichen, wie die Spezialisten von KPMG erklären. Der Fokus verschiebt sich vom Fahrzeugbedarf hin zum Kundenbedarf, wie es in einer Analyse von McKinsey & Company griffig heißt.
Aller alternativer Angebote zum Trotz bleibt natürlich auch das Tanken ein Thema. Und was für eins! Das Aufladen von E-Autos die damit verbundene Notwendigkeit der Zeitüberbrückung nehmen dabei einen immer größeren Stellenwert ein und. Und auch der Wasserstoffantrieb darf schon heute mitgedacht werden. Aber schnell wird deutlich: Nicht jede Tankstelle kann und muss hier mithalten. Der riesige Platzbedarf und die Vorschriften machen es in vielen Fällen unmöglich, die neuen Treibstoffvarianten anzubieten. Ein Problem ist das nicht unbedingt. E-Ladestationen stehen ohnehin bereits vielfach dezentral zur Verfügung. Und die Tankstelle der Zukunft kennt viele Spielarten.
Die Lage macht den Unterschied
Da ist zunächst die Tankstelle in der Innenstadt, eigentlich ein Convenience Store, der auch Benzin, Wasserstoff, Gas und Strom für E-Autos verkauft und Batterien tauscht, mit vielfältigen Features von der Waschanlage über den E-Bike-Verleih bis zum Dronenstartplatz auf dem Dach für schnelles Ausliefern bestellter Waren. Etwas unterschiedlich sind Tankstellen im äußeren Stadtbereich ausgestattet. Hier steigen Gäste auf andere Verkehrsmittel um, zum Beispiel autonom fahrende Busse. Der Shop verlegt sich primär aufs To-go-Geschäft. Ganz anders ist die Tankstelle an der Autobahn aufgebaut. Hier tritt der Shop zugunsten des Tankens oder Batterietauschs zurück, für Wartende und Trucker sind Aufenthaltsräume vorgesehen.
Gigantische Stromtankstellen
Auch der aktuelle Mobility Report 2022 vom Zukunftsinstitut splittet die Tankstelle der Zukunft auf. Besonders tröstlich: Stationen mit herkömmlichem Geschäftsmodell werden noch lange gebraucht, heißt es aus dem bekannten Think Tank. Als zweites Szenario gilt der Ladepark für Strom und Wasserstoff, der sich bevorzugt entlang der Autobahnen und Fernstraßen sowie bei Einkaufszentren, Freizeiteinrichtungen und Autohöfen findet.
Eine veritable Stromtankstelle entsteht übrigens derzeit an der Autobahn bei Zusmarshausen. Zunächst sind 60 Ladestationen geplant. Im so genannten Innovationspark überbrückt man die Wartezeit mit Essen, Einkaufen oder Arbeiten. Die gesamte Anlage ist barrierefrei.
Der „Späti“ lebt
Vollkommen konträr schildert das Zukunftsinstitut Szenario Nr. 3. Die „Kiosk-Tankstelle“ spezialisiert sich auf soziale und kommunikative Angebote und fungiert beispielsweise als Trinkhalle, Späti, Bistro oder Drive-In, mit Post- und Kurierdiensten. Benzin und Diesel gibt’s natürlich auch!
Szenario 4 dagegen ist ein Mobility Hub, ein Knotenpunkt mit Ladestationen speziell für Sharing-Fahrzeuge, und Zugang zum ÖPNV. Ein Imbiss passt natürlich auch in dieses Konzept!
Fazit: Die Tankstelle der Zukunft bietet einen ganzen Fächer an Chancen, auch und grade für vorausschauende Gastro-Betreiber. Essen und Reisen gehören schließlich untrennbar zusammen und machen moderne Mobilität zum genussreichen Lebensstil.
Podcast zur Zukunft der Mobilität: Dr. Stefan Carsten – Autor des Mobility Report 2022 – legt seine Sichtweise zur Zukunft der Mobilität dar.