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Der Maestro auf Mission

Von: Lesezeit: 5 Minuten

Massimo Bottura ist die schillerndste Ausnahmeerscheinung in der Welt der internationalen Spitzengastronomie – und mittlerweile auch weit darüber hinaus. Im Exklusivinterview verrät der kunstverrückte Küchenpoet, wie er sich durch die Krise kämpfte – und wie in der
Osteria Francescana beim Perso-Essen die Zukunft gestaltet wird.

Vita Massimo Bottura:

1962 in Modena geboren, ist Massimo Bottura heute einer der berühmtesten Spitzenköche und Gastronomen weltweit. Nach einem abgebrochenen Jura-Studium eröffnet der kunstaffine Küchenkapazunder 1986 seine erste Trattoria in einem kleinen Dorf in der Emilia-Romagna. Alain Ducasse speist eher zufällig dort – und bietet ihm ein Praktikum in seinem Restaurant in Monaco an. Bottura geht danach nach New York, lernt dort seine spätere Ehefrau Laura Gilmore kennen. 1995 eröffnet Massimo Bottura sein Restaurant Osteria Francescana in Modena. 2011 erhielt es drei Michelin-Sterne, 2016 und 2018 wurde es zur Nummer eins der World’s 50 Best Restaurants. 2019 wurde Bottura vom Time Magazine zu den 100 einflussreichsten Menschen der Welt gezählt.

Mächtiges Aushängeschild

Massimo Bottura ist Gründer und kulinarischer Mastermind der Osteria Francescana, des für viele wohl besten Restaurants der Welt. Zweimal wurde die kulinarische Pilgerstätte auf Platz eins der prestigeträchtigen World’s-50-Best-Liste gewählt. Seit 2011 hält Bottura dort drei Michelin-Sterne. Mit seiner Wohltätigkeitsorganisation Food for Soul rief er eine mittlerweile weltweite sozialrevolutionäre Suppenküche ins Leben, wie es vor ihm wohl noch niemandem gelungen ist. Dass Bottura genauso als Botschafter des UN-Umweltprogramms wie für die italienischen Luxusmarken Gucci und Maserati auftritt, mag für die einen plumper, für die anderen faszinierender Widerspruch sein. Fest steht: Die Frage, was Massimo Bottura symbolisiert, hat jene, wer er eigentlich ist, längst verdrängt. Ein exemplarisches Kind seiner Zeit, das wie kein anderes die neue Rolle eines Küchenchefs im 21. Jahrhundert verkörpert? Oder doch eher ein exotischer Jetset-Ausnahmepromi, der als vorbildhafte Kochfigur eigentlich nichts mehr taugt?
Es ist 14 Uhr 10. Eigentlich sollte das Telefon-Interview mit Massimo Bottura bereits in vollem Gange sein. Doch das Handy des umtriebigen Italieners ist besetzt. Es ist schließlich kurz vor drei, als er zurückruft. Am anderen Ende der Leitung: ein genauso euphorischer wie aufgewühlter Bottura, der gerade ein langes Telefonat mit Italiens Premierminister hinter sich hat. Corona, Hilfspakete, die Zukunft der Gastronomie – es ging ans Eingemachte.

 

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Massimo, wie ist es zu diesem Telefonat mit dem Premierminister gekommen?

Im November habe ich einen offenen Brief an unseren Premierminister geschrieben, der in der großen italienischen Tageszeitung Corriere della Sera veröffentlicht worden ist. Du musst wissen, im März 2020 habe ich gerade einmal 600 Euro bekommen. Danach lediglich die sogenannte Cassa integrazione für meine Angestellten, also die Personalkosten. Die werden aber erst sechs Monate im Nachhinein ausbezahlt. Das bedeutet, dass ich sechs Monate lang alle meine Angestellten voll bezahlen musste. Und wie es aussieht, bekommen wir kein Geld in dem Sinn, sondern müssen diese Beträge dann von den Steuern abziehen. Ob ich das alles überleben werde, weiß ich nicht. Ich denke schon, dass es irgendwie gehen wird. Aber es ist einfach alles der reine Wahnsinn.

Hat der Brief Wirkung gezeigt?

Ja, auf jeden Fall. Dadurch sind wir jetzt nicht mehr gezwungen, die Steuern vorzuzahlen. In Italien ist es ja so, dass man in Dezember bereits 40 Prozent der Steuern für das kommende Jahr bezahlen muss. Für ein Unternehmen wie meines wäre das in Zeiten wie diesen desaströs. Wir versuchen also, uns in Optimismus zu üben, beschäftigt zu bleiben und trotz allem etwas Besonderes zu schaffen, um durch diese verrückten Zeiten zu kommen.

Womit beschäftigt ihr euch Konkret? Kannst du uns ein paar Beispiele nennen?

Das Jahr 2020 habe ich genutzt, um in die Casa Maria Luigia zu investieren. Wir haben dafür neue Grundstücke gekauft, um die Gästeerfahrung einfach noch umfangreicher und besser zu gestalten. Zum Beispiel mit Sporträumlichkeiten, Räumen für Kunstausstellungen – aber auch das ganze Bed & Breakfast haben wir auf Vordermann gebracht. Andererseits arbeiten wir an all den Menüs, zu denen wir ansonsten nie wirklich kommen würden. Im Sommer haben wir unser Beatles-Menü präsentiert, das vom legendären Album „Sgt. Pepper‘s“ inspiriert war. Das Feedback war unglaublich. Einige Journalisten, die bereits oft in der Francescana waren, sagen, das sei das beste Menü, das sie jemals in der Francescana gehabt haben. Nach 25 Jahren schaffen wir es also, trotz all dieser Umstände, uns zu übertreffen und besser und immer besser zu werden. Außerdem laufen die Vorbereitungen für das Ferrari-Restaurant in Maranello auf Hochtouren, dort werden wir voraussichtlich im Spätfrühling eröffnen. Auch eine neue Gucci-Dependance in Japan eröffnet voraussichtlich im Sommer. Und was die Refettorios betrifft, gibt es jetzt die Mahlzeiten für die Armen, Flüchtlinge oder Obdachlosen zum Abholen. Wir renovieren und investieren in die Standorte San Francisco und New York. Du siehst: Wir arbeiten, arbeiten, arbeiten.

Massimo Bottura, Statuskoch und Botschafter des italienischen Luxus Kochhandwerks, ist zugleich Gründer einer sozialrevolutionären Suppenküche.

Massimo Bottura | Image: Raphael Gabauer

Gehen wir zu deinen Anfängen zurück. Im Jahr 1986 hast du dein erstes Restaurant eröffnet.

Nein, das war kein Restaurant! Es war eine kleine Trattoria, ein paar Kilometer von Modena entfernt, in einem Dorf mit zehn Einwohnern. Es war das billigste Ding, das es gab und das ich mir leisten konnte. Eine Woche später stand ich in der Küche. Mit einer alten Dame namens Lydia Cristoni. Sie war es, die mir alles beibrachte. Sie zeigte mir, wie man eine Küche organisiert. Aber auch etwas anderes, viel Wichtigeres: nämlich den Zugang, ein Restaurant als etwas Familiäres zu gestalten. Auch für die Mitarbeiter. Durch sie kam es zu dieser Tradition, die wir bis heute in der Osteria Francescana pflegen: nämlich mittags und abends gemeinsam zu essen. Um 11:45 und 16:45 Uhr vor dem Service. Hier wird miteinander gesprochen, auch gestritten und genauso wieder Frieden geschlossen. Und nicht zuletzt auch die Zukunft gestaltet. Das ist es, was sie mir regelrecht eingeimpft hat.

Dann passierte etwas, womit wohl niemand gerechnet hatte: In deiner kleinen Trattoria im Niemandsland saß plötzlich ein gewisser Alain Ducasse …

Das war so: In der Nähe gab es ein anderes Restaurant eines anderen Chefs, Georges Coigneier. Zwischen 1986 und 1992 brachte er mir die klassischen Skills der französischen Küche bei, wenn ich nicht in der Trattoria arbeitete. Durch ihn erwarb ich die Fähigkeit, die italienische Traditionsküche mit französischen Elementen, vor allem Saucen, zu kombinieren. Das schien Alain Ducasse zu interessieren, was ich da machte. Als er aufgegessen hatte, holte er mich zu sich an den Tisch und lud mich in sein Hotel de Paris nach Monaco ein, um dort zu kochen. Das war im November. Im Januar war ich schon in Monaco.

 

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Die Sache mit der italienischen Küche einerseits und französischen Techniken andererseits ist weiterhin eine wichtige Säule deines Küchenstils. Viele sagen daher, du hättest die italienische Küche „dekonstruiert“. Stimmt das?

Völlig falsch. All die Leute, die das schreiben, verstehen meine Küche nicht. Wahrscheinlich haben sie die Gerichte nicht genau genug analysiert. Ich denke, ich rekonstruiere die italienische Küche, ich dekonstruiere sie nicht. Wenn ich die Käsekruste der Lasagne serviere, dann sage ich: Es gibt kein emotionaleres Teil der Lasagne als dieses. Wenn eine Mutter mit einem Lasagneblech kommt, dann kämpfen die Kinder um jedes Stück dieser Kruste. Der Rest ist für die Erwachsenen. Menschen mit so etwas Emotionalem zu ernähren, hat meines Erachtens nichts mit Dekonstruktion zu tun. Eines stimmt natürlich: Ich schaue grundsätzlich kritisch – und nie nostalgisch – auf das Vergangene. Aber dennoch versuche ich immer, das Beste aus dem Vergangenen in die Zukunft zu hieven. Das ist es eigentlich, kurz gesagt, was ich mache.

Nach deiner Einladung bei Ducasse bist du nicht etwa zurückgekommen, um deine Küchenkarriere voranzutreiben. Stattdessen bist du nach New York gegangen. Warum?

Es war für mich einfach der richtige Moment … Ich weiß nicht … New York war für mich immer New York. Für mich, der sein Leben lang kunstverrückt war, war New York immer schon das Zentrum für alles. Ein Bluesman kann dort auf Damien Hirst treffen, Jane Cramer trifft dort auf Cindy Sherman. Das faszinierte mich damals, weil es irgendwie Sinn macht.

Du hast dort auch deine spätere Ehefrau kennengelernt, Laura Gilmore …

Durch sie eröffnete sich mir die Komplexität von Kunst, auch dadurch, dass ich durch sie tiefer schürfen konnte. Viele zeitgenössische Kunstwerke versteht man nicht ohne die jahrhundertealte Vorgänger. Es ist ein bisschen wie mit dem Fischen. Wenn du nur an der Oberfläche bleibst, wirst du nie den Richtigen fischen. Du musst tiefer gehen, ausharren, und manchmal auch einfach geduldig sein. Dasselbe gilt für Ideen: Gewisse Ideen, die dir im Moment kommen, scheinen im ersten Moment genial. Aber sie können genauso schnell wieder völlig irrelevant sein, irgendwie inhaltsleer. Für andere wiederum muss man kämpfen und viel Zeit verwenden. Sie sind es dann oft, die wirklich Früchte tragen.

Äußert sich dieser Zugang auch in Gerichten oder Projekten von dir?

Denk an das Gericht „Five different ages of parmeggiano in five different textures and temperatures“. Das ist ja eines meiner Signature Dishes. Die erste Version war mit drei verschiedenen Texturen und Temperaturen. Am Anfang hieß es, ich zerstöre das Image von Parmigiano Reggiano damit. Knapp 20 Jahre später, auch nach den Entwicklungsstufen des Gerichts, wurde es als Gericht des Jahrzehnts der italienischen Gastronomie ausgezeichnet. Ich finde, darin steckt auch eine wichtige Botschaft an die neue Generation: Kämpft für eure Ideen, hört nicht zu viel auf andere, und vor allem: Glaubt an euch.

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