Überall blubbert es, und das nicht erst seit gestern. „Viele führende Köche beschäftigen sich mit dem Thema“, betont Heiko Antoniewicz, einer der Vorreiter, der schon 2015 ein Buch darüber schrieb. In Zeiten, wo mehr und mehr Gastronomen ihr eigenes Gemüse anbauen, kommt die umweltfreundliche Oldschool-Konservierung gerade recht. „Wir haben einen kleinen Acker“, erzählt René Stein, Küchenchef im Schwarzen Adler in Nürnberg, wo man den regionalen Genuss pflegt. „Letztes Jahr hatten wir viele Sonnenblumen. Die Blütenblätter haben wir in Salzlake fermentiert. Das schmeckt wie Sonnenblumenkerne. Und die Farbe bleibt gut erhalten, so ein dunkles Gelb, Richtung Orange“.
Aber Konservierung ist nur ein Aspekt. Küchenchefs geraten schier in Ekstase, wenn sie von den Aromen sprechen, die beim Fermentieren freigesetzt werden. „Fermentation gibt der ganzen Geschichte eine Tiefe“, schwärmt René Stein über seine im Vakuumbeutel fermentierten Rotkohl-Spalten. „Früher haben wir den frischen Kohl ausgepresst, aber jetzt haben wir viel mehr Saft und die Sauce wird viel geiler!“
Außerdem ist Fermentieren sensationell einfach, wenn man an Gemüse denkt. Das weiß auch Heiko Antoniewicz: „Karotten raspeln, einsalzen und in der Tradition der Sauerkrautherstellung verarbeiten: Wir nennen das ‚Karotte à la Sauerkraut‘ – das kriegt man sehr gut hin!“ Seine Erfahrung: „Fermentation passt in jede Betriebsart, ob A-la-carte-Restaurant oder Systemcaterer – der Einsatz von fermentierten Produkten ist in Qualität und Menge nicht begrenzt. Wir haben gemeinsam mit unserem Partner Verstegen für einen der großen Caterer am Markt ein Konzept umgesetzt und erfolgreich Mengen in einer Größenordnung von mehreren Tonnen produziert und serviert. Das Bewusstsein bei vielen Gästen hat sich verändert. Sie wissen, dass fermentiertes Gemüse gesundheitsfördernd ist.“
Aufpassen muss man allerdings mit dem Salz, das Basis jeder Fermentation ist – in körniger Form oder als Lake. Zuwenig fördert den Verderb, zu viel macht das Produkt schwer einsetzbar. „Zwei Prozent vom Gewicht ist das Minimum“ erklärt René Stein „Wir wollen ja, dass die guten Bakterien Party feiern und die schlechten alle wegbleiben.“
Und damit hat er ganz nebenbei das ganze Geheimnis der Fermentation erklärt. Lebende Mikroorganismen wandeln beim Fermentieren in sauerstoffarmer Umgebung unter anderem Zucker und Stärke in Kohlensäure um. „Die Beutel blähen sich, ab und zu muss man sie ‘rülpsen‘ lassen“, grinst René Adler.
Milchsaure Vergärung wie beim Sauerkraut ist dabei nur eine der Möglichkeiten. „Durch die lange Reifezeit und die zugesetzte Salzmenge variiert das Geschmacksbild von süß bis würzig oder Umami. Das Geschmackbild kann jeder Koch selbst kreieren“, betont Antoniewicz. Das Geheimnis liegt in den Starterkulturen, so der Star-Koch, denn damit lässt sich der Prozess beschleunigen oder verlangsamen. Die fernöstliche Fermentationstradition mit Misu, Kimchi, Koji, Kombucha & Co. macht davon gerne Gebrauch.
So auch im Scully St. James’s in London. Ramael Scully fermentiert am liebsten Miso. Auf der aktuellen Karte steht mit Koji fermentierter Mais. Fermentation ist seine Leidenschaft. „Du weißt nie, was dabei herauskommt”, sagt er, „manchmal wird es ganz anders als du gedacht hast und ein ganz fantastischer neuer Geschmack ist geboren”.
Der Faszination des Fermentierens erlegen ist auch Herman Godijn, Inhaber des Rotterdamer Restaurants Dertien. „Mit Fermentation kannst Du eigentlich ungenießbare Dinge essbar machen“, betont er. Für einen Anti-Foodwaste-Lunch entwickelte er fermentierte „Trash Spices“ aus den Kernhäusern von Äpfeln und aus Spargelschalen.
Als Vorreiter der neuen Fermentationswelle gilt René Redzepi vom weltberühmten Noma in Kopenhagen. Erst kürzlich twitterte der Gastro-Star begeistert: „Pickles schmecken einfach lecker. Neulich haben wir Eier-Pickles gemacht und ich kann Euch sagen, von allen Pickles, die wir je gemacht haben, könnte das mein Favorit werden. Wir haben diesen Sommer sage und schreibe 6000 Rebhuhneier gekocht und geschält. So viel Arbeit und Herumprobiererei für einen halben Bissen… oh Mann!“ Aber Redzepi fermentiert auch Kürbis, Nüsse und vieles mehr. Ein Tipp: „The Noma Guide to Fermentation“ bietet viele reich bebilderte Rezepturen zum selber Ausprobieren!