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Der Handel tischt auf

Von: Lesezeit: 5 Minuten

The hype is real! Hochfrequentierte Foodblogs und unzählige neue Restaurantkonzepte – über mangelnde Aufmerksamkeit kann sich die Gastronomie im Moment nicht beschweren. Das weiß man auch im stationären Einzelhandel, der sich durch den wachsenden E-Commerce zum Umdenken gezwungen sieht und neue Wege sucht, um wieder mehr Kunden auf die Fläche zu locken.

Einer, der solche Phänomene von wissenschaftlicher Seite betrachtet, ist Olaf Hohmann, Leiter des Forschungsbereichs Handelsgastronomie des EHI Retail Institutes in Deutschland. Das Einzelhandelsinstitut zählt rund 800 Mitglieder aus Handel, Konsum und Investitionsgüterindustrie – und hat dementsprechend viel Expertise zum Thema Handelsgastronomie beizusteuern.

Im Gespräch verrät Olaf Hohmann, welche Fragen sich Händler stellen müssen, die den Schritt zur eigenen Gastronomie in Erwägung ziehen, und wie man seine Kunden kulinarisch begeistert.

Image: Olaf Hohmann, Head of the Retail Catering research division of the EHI Retail Institute

Image: Olaf Hohmann, Head of the Retail Catering research division of the EHI Retail Institute

Die Verschmelzung von Handel und Gastronomie ist momentan ein großes Thema – eines mit vielen Facetten. Können Sie uns den Begriff Handelsgastronomie definieren? Wie würden Sie das Thema wissenschaftlich eingrenzen?

Aus den aktuellen Veränderungen im Markt haben wir für uns eine zeitgemäße Definition abgeleitet.

Handelsgastronomie umfasst nach unserer Auffassung das kontinuierliche Angebot von gastronomischer Leistung sowie von Getränken und verzehrfertig zubereiteten Speisen, die in direktem oder konzeptionellem Zusammenhang mit Handelsaktivitäten stehen.

OPUS V im Engelhorn Mode im Quadrat - Handelsgastronomie

Image: Engelhorn

Welche Hauptunterschiede bestehen zwischen der Handelsgastronomie und der klassischen Gastronomie?

Der Hauptunterschied ist für uns die Vielfalt. Das Spektrum reicht ja vom Imbiss im Baumarkt bis hin bis zur Sternegastronomie. Ein schönes Beispiel ist hier Engelhorn Mode im Quadrat in Deutschland, wo Tristan Brandt mit dem OPUS V einen Ort für anspruchsvolle Gourmets geschaffen hat. Handelsgastronomie findet genauso in der Innenstadt wie auf der grünen Wiese statt – beispielsweise in großen Möbelhäusern. Sie umfasst To-go-Food genauso wie Restaurants mit Sitzmöglichkeiten. Wir haben eine Bandbreite von standardisierter Produktion bis hin zur individuellen Zubereitung. Sie sehen, das Feld ist weit größer als bei der klassischen Gastronomie.

Was ist aus Kundensicht die Stärke der Handelsgastronomie?

Hier stehen Schnelligkeit und Flexibilität im Vordergrund. Zum Beispiel kann ich in der Mittagspause ungezwungen essen gehen, mich hinsetzen oder etwas mitnehmen. Ob Snacks, Freeflow am Buffet oder à la Carte – auch hier bietet die Handelsgastronomie viele Möglichkeiten. Und dann ist das Preisniveau bei der Handelsgastronomie meist niedriger als in der klassischen Gastronomie.

Tankstellenshop Lekkerland - Handelsgastronomie

Image: Matthias Schmiedel


Sie betonen die vielfältigen Möglichkeiten der Handelsgastronomie. Können Sie uns weitere Beispiele nennen?

2017 hat Ikea Deutschland in Kaarst bei Düsseldorf einen neuen Möbelmarkt eröffnet, der auf Nachhaltigkeit setzt. Zusätzlich zur bekannten Ikea-Gastronomie wurde ein Café mit Dachterrasse und sehr schönem Ambiente geschaffen. Der Ort hat echten Erholungscharakter. Auch bei Tankstellen hat sich viel getan. Das „Frischwerk“ ist ein Konzept von Lekkerland, das an zwei Tankstellen in Aalen bei Stuttgart und in Hamburg-Bergedorf umgesetzt wurde. Die sollten Sie sich einmal anschauen: viel Holz, viel Wohlfühlatmosphäre. Zudem hat man sich Gedanken über die Kundenführung gemacht. Dann gibt es „Zum Glück“, ein neues Konzept der Westfalen AG, umgesetzt unter anderem auf 400 Quadratmetern in einer Tankstelle im nordrheinwestfälischen Gelsenkirchen. Im Fashionbereich erwähnenswert ist ein neues Tommy Hilfiger Café, das sogar autark funktionieren könnte, da es einen eigenen Zugang hat. Bei Hilfiger sehen wir sowohl im Retail als auch in der Gastro einen sehr hohen Digitalisierungsgrad. Wir sind gespannt, ob sich der Trend allgemein durchsetzt.

Gibt es internationale Beispiele, die Sie erwähnenswert finden?

Wir waren im Sommer auf Storecheck-Tour in London, für uns der europäische Hotspot, wenn es um Foodtrends geht. Die Luxus-Kaufhäuser Selfridges und Harrods mit ihren Foodhalls waren natürlich Pflichttermine. Der Flagshipstore des Bio-Supermarkts Planet Organic bietet neben dem Sortiment auch warmes „Food to Go“, Suppen und „High Convenience“ an. Neben dem Borough Market lohnt sich auf jeden Fall auch der Abstecher zum nahegelegenen Mercato Metropolitano: Das Herzstück des Marktes ist ein sizilianischer Supermarkt mit Produkten aus Italien und rundherum findet man verschiedene zwanglose internationale Angebote im Bereich Essen und Trinken. Auf und neben der Oxford-Street setzten beispielsweise das H&M-Label Arket und die Textiliten Topshop und Primark auf Café-Angebote. Neben Kaffeespezialitäten und Smoothies sind auch Convenience-Produkte wie Salate und Sandwiches Bestandteil der Sortimente.

OPUS V - Engelhorn Mode im Quadrat - Handelsgastronomie

Image: engelhorn

 

Welche Ziele verfolgen die Händler mit der Einführung von gastronomischen Angeboten?

Unseren Untersuchungen zufolge besteht das oberste Ziel darin, eine Wohlfühlatmosphäre und damit eine Erholungsmöglichkeit zu schaffen. An zweiter Stelle steht der Wunsch, sich gegenüber des Online-Handels zu differenzieren. Frequenz und Verweildauer zu erhöhen ist ebenfalls wichtig. Und in letzter Zeit hören wir immer öfter von der sozialen Funktion, also dem Wunsch, einen Treffpunkt für Menschen zu generieren.

OPUS V - Engelhorn Mode im Quadrat - Handelsgastronomie

Image: engelhorn

Erkennen Sie einen Anstieg des Außer-Haus-Verzehrs und, wenn ja, auf was ist dieser zurückzuführen?

Tatsächlich prognostiziert das Marktforschungsinstitut NPD Group für dieses Jahr einen Anstieg des Außer-Haus-Verzehrs. Diese Entwicklung hängt auch unmittelbar mit der Konjunktur, der Zunahme der kleineren Haushalte und auch der Mobilität zusammen. Beim Außer-Haus-Verzehr werden wir 2018 wohl bei über 80 Milliarden Euro Umsatz liegen, wovon die Handelsgastronomie mit über neun Milliarden etwa zwölf Prozent des Gesamtkuchens ausmacht.

Welcher Zukunft sieht die Handelsgastronomie entgegen? Welchen Herausforderungen muss sich diese Branche stellen?

Wir stellen fest, dass die Händler immer mehr in Gastronomie investieren, besonders im stationären Lebensmitteleinzelhandel. Bei den Shoppingcentern geht man davon aus, dass der Gastronomieanteil auf bis zu 20 Prozent steigen wird. Qualität spielt nicht nur im Hinblick auf die Speisen, sondern auch in Sachen Ausstattung und Ambiente eine immer wichtigere Rolle

Wie können die Händler diese Herausforderungen meistern? Gibt es technische Neuerungen, die helfen können?

Wir splitten die Handelsgastronomen grob in drei Gruppen: diejenigen, die Handelsgastronomie schon seit Jahren betreiben, die ihre Systeme und Prozesse beherrschen und recht erfolgreich sind. Dann gibt es die zweite Gruppe derjenigen, die seit drei bis fünf Jahren mit ihren Konzepten unterwegs sind und unter Umständen feststellen, dass ihre Rechnung nicht so richtig aufgeht. Vielleicht, weil sie die Geräte nicht richtig dimensioniert haben, Abläufe nicht stimmen oder das Personal fehlt. Die dritte Gruppe denkt aktuell darüber nach, sich gastronomisch zu engagieren, und hofft darauf, damit das eigene Handelsgeschäft zu beleben. Nun sind Handelsgastronomie und Retail zwei sehr unterschiedliche Dinge. Da vieles beachtet werden muss, raten wir dazu, sich im Vorfeld gut zu informieren und unbedingt Experten dazuzuholen.

Tankstellenshop Lekkerland - Handelsgastronomie

Image: Lekkerland Frischwerk | Matthias Schmiedel

 

Kommen da vielleicht Hersteller aus der Industrie ins Spiel?

Ja, die Industrie kann da mit Sicherheit helfen. Aber auch Probleme wie das Recruiting von Personal, das in der Gastronomie insgesamt kein einfaches Thema ist, dürfen nicht außer Acht gelassen werden. Zudem müssen Phänomene wie die Niedrigfrequenzzeit bedacht werden. Meist läuft das Mittagsgeschäft ganz gut, aber was passiert am Morgen, was am Nachmittag und am Abend? Weitere Fragen betreffen die Produktivität. Wie sind die Produktionsprozesse? Passt mein Foodkonzept zu meiner Zielgruppe? Und auch zur DNA des Unternehmens? Welche technischen Geräte können mir dabei helfen, schnell und flexibel zu agieren? Wie sieht meine Speisekarte und mein technisches Gerät aus, wenn ich gar keine Köche, sondern Hilfspersonal beschäftige? All das sollte im Rahmen der Planung geklärt werden.

Haben Sie weitere Ratschläge für Händler, die eine neue Handelsgastronomie planen?

Es ist wichtig, dass die Technik bzw. das Gastrokonzept modular aufgebaut ist – nur so ist man wirklich flexibel. Die Technik sollte darauf ausgerichtet sein, dass die Speisekarte im Bedarfsfall umgestellt werden kann. Und darauf, den zu erwartenden Personal- und Fachkräftemangel aufzufangen. Wir empfehlen, eher klein anzufangen und Konzepte auszuprobieren und sich dann Stück für Stück zu vergrößern. Außerdem sollte sich jeder die Frage stellen, ob er mit der Gastronomie Profit erzielen möchte oder ob Wohlfühlaspekte und eine verlängerte Aufenthaltsdauer und erhöhte Frequenz das Ziel sind. Und dann sollte überlegt werden, ob die Gastronomie überhaupt in Eigenregie betrieben werden soll oder nicht lieber zusammen mit einem Partner. Professionelle Beratung und Planung können davor bewahren, Investitionen in den Sand zu setzen, und im Dauerbetrieb viel Geld einzusparen.

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