Verbrecherbanden, Schiffe und KuÌchen funktionieren nach dem gleichen Prinzip, sagt Eric Vildgaard: âEs gibt strenge Hierarchien, eine strukturierte Aufgabenverteilung und ein gemeinsames Ziel.â Und der 38-jĂ€hrige DĂ€ne weiĂ, wovon er spricht. Bevor er sich seine ersten beiden Michelin-Sterne erkochen konnte, war er ein gefuÌrchteter SchlĂ€ger und Drogendealer. âIch war schon als Kind unheimlich frustriert und gewaltbereit. Ich war ein aggressives Arschloch und bin dem Tod nicht nur einmal gegenuÌbergestanden.â

Jedes Tattoo auf dem Körper des sanften Riesen Eric Vildgaard erzĂ€hlt eine Geschichte. Der Schriftzug âHateâ auf seiner linken Hand aber mahnt ihn: âIn mein altes Leben will ich nicht zuruÌck! | Image: Raphael Gebauer
Unberechenbar aggressiv
Wenn man dem 1,87 Meter groĂen Ex-Gangster zum ersten Mal gegenuÌbersteht, fuÌhlt man sich klein. âSeine Erscheinung ist eine Mischung aus nordischem BĂ€r und einem Wikinger, der sich im 8. Jahrhundert durch England brandschatztâ, liest man im Internet uÌber den massiv tĂ€towierten KuÌchenchef. Umso erstaunlicher ist seine sanfte Stimme â und auch die Geduld, mit der seine mĂ€chtigen HĂ€nde die Pinzette fuÌhren und prĂ€zise BluÌtenblatt neben BluÌtenblatt drapieren: âIn der KuÌche habe ich meine Ruhe, meine Balance gefunden.â

Image: David Egui
Mit 13 Jahren war Eric in einer Besserungsanstalt fuÌr minderjĂ€hrige StraftĂ€ter gelandet â und wurde sogar dort wegen seiner unberechenbaren GewaltausbruÌche hinausgeworfen. Doch der Teenager, der von den Eltern lĂ€ngst auf die StraĂe gesetzt worden war, fand einen Mentor, der in seinem Heim ein visionĂ€res Rehabilitationsprogramm leitete: âUm all meinen Ărger hinter mir zu lassen und ein neues Leben beginnen zu können, hĂ€tte ich mit ein paar anderen Jungs sechs Monate durch die Karibik segeln sollen.â Doch dann kam wieder eine dieser âdummen Situationenâ dazwischen und der Traum platzte.

Image: Jesper Rais
Doch statt ins GefĂ€ngnis zu wandern, wurde Eric zur Strafe auf ein Handelsschiff gesteckt, das vor der dĂ€nischen KuÌste unterwegs war: âDa drauĂen empfand ich so etwas wie Freiheit. Aber mir war unfassbar langweilig, ich hatte ja keine Aufgabe. Ich weiĂ bis heute nicht, warum, aber ich habe mir ein paar Zutaten gesucht und fuÌr die Crew eine Torte gebacken. Und sie waren begeistert!â Eric wiederum war vom Lob uÌberwĂ€ltigt: âZum ersten Mal in meinem Leben hatte ich WertschĂ€tzung erfahren.â
An den prinzipiellen Problemen Ă€nderte dieser magische Moment kurzfristig jedoch wenig: âHeute weiĂ ich, dass ich damals unter ADHS, also einer Aufmerksamkeitsdefizit- HyperaktivitĂ€tsstörung, gelitten habe. Vom vielen Kiffen habe ich auĂerdem Psychosen aufgerissen und die Ărzte wollten mich zusĂ€tzlich noch mit Tabletten vollstopfen. Ich erzĂ€hle meine Geschichte heute deshalb so offen, weil ich jungen Menschen zeigen möchte, dass sie mit ihren Schwierigkeiten nicht allein sind und dass auch sie eine Zukunft haben.â
Zwischen Gang und Noma
Eine wesentliche Rolle in Eric Vildgaards hollywoodreifer Geschichte (âWenn mein Leben verfilmt wird, kommt fuÌr die Hauptrolle nur Arnold Schwarzenegger infrageâ) spielt sein sechs Jahre Ă€lterer Bruder Torsten. Der war nĂ€mlich die rechte Hand von RenĂ© Redzepi und brachte den unbĂ€ndigen Streetfighter, der in verschiedenen KuÌchen vergeblich sein GluÌck versucht hatte, kurzerhand im Noma unter. Hier, im besten Restaurant der Welt, lernte Eric, diszipliniert und strukturiert zu arbeiten: âIch fuÌhrte drei Jahre lang zwei komplett unterschiedliche Leben. Und beide waren fuÌr mich unglaublich faszinierend: einerseits die HĂ€rte der StraĂe, wo ich andere Menschen möglichst ungluÌcklich machen wollte. Und andererseits ein Ort, an dem es um das genaue Gegenteil ging. In der KuÌche war ich eine andere Persönlichkeit. Ich habe gesehen: Mit der gleichen Kraft und dem gleichen Willen kann ich Menschen genauso gut gluÌcklich machen.â

Kaum zu glauben, wie filigran der 1,87 Meter groĂe Ex-Gangster mit SchĂ€umchen und BluÌten hantiert. Hier entsteht gerade Spargel mit Brunnenkresse, Kaviar und Wermut-Sauce. | Image: Jesper Rais
Dass Gehilfen und Jungköche nicht immer mit Samthandschuhen angefasst werden, störte den sonst so gewalttĂ€tigen Rocker nicht. âIn der KuÌche habe ich das akzeptiert. Aber hĂ€tte mich auf der StraĂe jemand so respektlos behandelt wie manche meiner Ă€lteren Kollegen am Herd â glaubâ mir, das wĂ€re fuÌr ihn garantiert alles andere als gut ausgegangen âŠâ
Tausche Rolex gegen Teller
Die endguÌltige Wandlung gelang, als Eric an einer seiner kurzfristigen Arbeitsstellen nach dem Noma seine heutige Ehefrau Tina kennen und lieben lernte; er brachte eine Tochter in die Beziehung ein, die Restaurantmanagerin drei weitere. Mittlerweile ist die Familie um zwei gemeinsame Kinder angewachsen â und wohl der offensichtliche Hauptgrund fuÌr Erics inneren Frieden und seine Ausgeglichenheit.

Image: Jesper Rais
2017 erfuÌllten sich die Vildgaards dann endlich den Traum vom eigenen Restaurant. Mangels finanzierbarer Alternativen allerdings nicht wie urspruÌnglich gewuÌnscht in der Feinschmecker- Hochburg Kopenhagen. Sondern stattdessen in Gentofte, neun Kilometer nördlich der dĂ€nischen Hauptstadt. Damit man eine Relation ihrer damaligen finanziellen Situation bekommt: Um sich Teller, GlĂ€ser, Besteck und die ersten Zutaten leisten zu können, mussten ein Diamantring und eine Rolex verkauft werden.

Image: Jesper Rais
Taten, nicht Terror
An internationale Auszeichnungen verschwendete Eric Vildgaard anfangs keinen Gedanken. âIch bin ambitioniert und suche nach Perfektion. Im Wissen, dass ich diese Perfektion nie erreichen werde. Und wenn doch, dann ist das der Moment, in dem ich das Restaurant schlieĂeâ, postulierte er fuÌr sich. Dass das JordnĂŠr mit seinen zwei Michelin-Sternen mittlerweile zu den sieben besten Restaurants DĂ€nemarks gehört, freut ihn natuÌrlich: âEinerseits bedeutet mir diese Auszeichnung alles, andererseits uÌberhaupt nichts. Denn ich koche nicht fuÌr die Sterne, sondern fuÌr meine GĂ€ste. Und, wenn wir schon dabei sind: Wir Köche sind keine Rockstars. Machen wir uns nichts vor: Unsere Aufgabe ist es, eines der menschlichen GrundbeduÌrfnisse zu befriedigen.â

Image: David Egui
Eric Vildgaard: Anders als alle Anderen
Und das tut er auf seine ganz eigene Art: âAls Vater will ich bei der Erziehung alles anders machen als meine Eltern bei mir und meinem Bruder. Und als Chef will ich anders agieren als all die Köche fruÌher, die sich nur durch herumbruÌllen Respekt verschaffen konnten.â Deshalb ist er prinzipiell der Erste, der kommt und der Letzte, der geht. âIch arbeite jeden Tag selbst an einer Station. Ich fuÌhre meine Kollegen durch Taten, nicht durch Terror. Aber vielleicht liegt es auch an meiner Vergangenheit, die natuÌrlich kein Geheimnis ist, dass ich nicht mehr laut werden muss. Heute bin ich ein sanfter Riese.â
Dennoch ist er ein Mann, der zu keinen Kompromissen bereit ist â vor allem dann, wenn es um die QualitĂ€t geht. Entscheidend in seiner Philosophie ist der Respekt vor den Zutaten. âIch töte mit meinem Messer pro Tag 30 bis 35 Langusten. Das klingt vielleicht seltsam, aber ich bin es dem Tier schuldig, dass es nach seinem Tod so gut wie möglich verarbeitet und so schön wie möglich prĂ€sentiert wird.â

Image: Jesper Rais
Und was hat das mit Japan zu tun?
In seinen Rezepten kombiniert Eric Vildgaard die nordische KuÌche mit japanischen Highlights: âIch koche nordisch, weil ich so ausgebildet wurde. Und japanisch, weil ich diese KuÌche fuÌr ihre PrĂ€zision und ihre Leidenschaft fuÌr einzelne Zutaten liebeâ, sagt der ungewöhnliche Chef. Zu seinen bekanntesten Kreationen zĂ€hlt der Steinbutt mit TruÌffel, gehackter Languste und Yuzo Kosho, einer japanischen Chilipasta. Doch selbst dieses Gericht unterliegt einem permanenten Wandel. âBei der Zubereitung, bei der es auf die exakte Kombination von Geschmack und Textur ankommt, liegen zwischen GenialitĂ€t und Desaster nur zwei Sekunden. Ich arbeite am besten unter Druck, aber ich bin immer auf der Suche nach Verbesserungen. Und ich weiĂ, dass ich meine FĂ€higkeiten noch lange nicht ausgeschöpft habe.â
Der Zukunft blickt Eric gleichermaĂen entspannt wie selbstbewusst entgegen. Dabei ist ihm und seiner Umgebung allerdings stets klar: Der Hunger nach Erfolg ist lĂ€ngst nicht gestillt, Neugier und Ehrgeiz brennen nach wie vor in seinem Herzen und seiner Seele. Deshalb sagt er auch selbst ganz klar und deutlich: âNatĂŒrlich will ich den dritten Michelin-Stern! Ich will meine Karriere ans absolute Limit treiben. Ich will zeigen, dass auch Menschen wie ich, ein ehemaliges Gangmitglied, ein ehemaliger Drogendealer, in der Lage sind, GroĂes zu schaffen!â

Image: David Egui
Was, wenn die Drogen wieder locken?
Angst vor einem RuÌckfall hat Eric Vildgaard uÌbrigens nicht. DafĂŒr ist die dunkle Seite seiner Geschichte immer noch zu greifbar und zu sichtbar fuÌr ihn. âWenn mir einmal alles zu viel zu werden droht, schaue ich auf meine linke Hand. Dort stehen die Buchstaben H-A-T-E, also Hass, auf meinen Fingern. Ich sehe das Tattoo und weiĂ: In dieses Leben will ich nie wieder zuruÌck.â