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Alex Atala: Brasiliens Dschungel-Messias

Von: Lesezeit: 4 Minuten

Alex Atala ist der Übervater der brasilianischen Gastronomie. Wie kein anderer hat er sie mit den Themen Nachhaltigkeit, Menschenrechten und Biodiversität verknüpft – und seinem Land eine kulinarische Kultur zurückgegeben, die heute weltweit bekannt ist. Wie er das geschafft hat – und was Ameisen damit zu tun haben.

Grüne Wüsten. Davor fürchtet sich Alex Atala am meisten. Sie sind sein persönlicher Albtraum. Einer, der ihn in schwachen Momenten verzweifeln lässt. Aber auch einer, der ihn anspornt. Weil er dagegen ankämpft wie sonst niemand, der hauptberuflich in der Küche steht. Und das ziemlich erfolgreich. Seit über zwanzig Jahren.

Doch was ist es was den Koch derart beschäftigt und genau genommen einen Widerspruch in sich darstellt? Diese grünen Wüsten sind nicht irgendwo. Sondern in Brasilien. Genauer gesagt im Amazonas. Und nein, damit ist nicht der Regenwald gemeint, der aus der Vogelperspektive wie grüner Watteboden wirkt. „Wir sprechen hier von Feldern aus Sojabohnen, Getreide und Reis“, sagt Atala. „Sie sterilisieren ganze Landstriche, bis nichts mehr dort lebt. Kein Vogelgezwitscher, kein Insektensurren, nichts. Alles ist tot dort.“

Sternekoch Alex Atala

Image: Rubens Kato

Das Phänomen Alex Atala ist ohne dieses albtraumhafte Bild der grünen Wüsten nicht zu verstehen. Vor rund 25 Jahren eröffnete der heute 55-Jährige sein Restaurant D.O.M. in Sao Paolo. In diesen 25 Jahren machte er es zu einer kulinarischen Bastion gegen alles, was mit diesen grünen Teufelswüsten zu tun hat. Und schaffte etwas, was niemandem bis dato gelungen ist: Er verlieh Brasilien eine gastronomische Identität. Heute gilt Atala deswegen als Nationalheld. Als gastronomischer Übervater auch. Nicht nur, weil er Brasilien kulinarisches Selbstbewusstsein einhauchte. Sondern gleichzeitig Brasiliens Lebensmittelproduktion nachhaltiger und gerechter machte. Doch wie hat er das geschafft?

Alex Atalas Vision der brasilianischen Küche

„Als ich Ende der 1990er das D.O.M. eröffnete, war Brasilien für zwei Dinge bekannt: Samba-Musik und Fußball“, erinnert sich Atala. „Für die brasilianische Küche interessierte sich niemand, nicht einmal die Brasilianer selbst interessierten sich dafür!“ Warum? „Weil die Küche Brasiliens als sattmachendes Arbeiteressen galt, mehr nicht“, erklärt der sympathische Spitzenkoch und verweist auf Nationalgerichte wie den Bohneneintopf Feijoada oder den Fischeintopf Moqueca.

Palmkern-Vatapá und Kokosnussmilch von Alex Atala

Image: Wellington Nemeth

Doch Alex Atala war damals schon überzeugt: Brasilien kann mehr als Arbeiteressen. „Brasilien ist ein riesiges Land, das mit einer unglaublichen Biodiversität gesegnet ist. Mein Ziel war es, diese Vielfalt auf die Teller zu bringen. Auch wenn mir alle davon abrieten, weil keiner glaubte, dass das irgendwen interessiert.“ Natürlich tat es das. Aber nur, weil es Alex Atala vorsichtig anging.

Alex Atala: Vom Punk-DJ und Maler in die Gourmetküche

Und zwar, indem er seine Landsleute mit vertrauten Geschmacksbildern abholte. „Ich kochte zwar mit Produkten, die in ganz Brasilien mehr oder weniger bekannt waren, aber ich verarbeitete sie auf eine kreative Art und Weise. Das sorgte hier und da für Überraschungen – vor allem, weil damals die kreative Küche nur in französischen oder italienischen Restaurants zum Einsatz kam. Aber es überforderte die Leute nicht“, erklärt Atala.

Das kreative Handwerk hatte er in Europa erlernt. Obwohl er eigentlich nicht fürs Kochen nach Europa gegangen war. Sondern um als Punk-DJ durchzustarten. „Meine Jugend in Sao Paolo war geprägt vom Lebensgefühl der Punkrock-Kultur, ich spielte sogar in einer Band! Für mich war Europa das gelobte Land des Punk, deswegen wollte ich mit 18 nichts wie weg aus Brasilien.“ In Belgien versuchte der junge Alex, Anschluss an die dortige Party-Szene zu finden und arbeitete als Maler, um über die Runden zu kommen. Bis sein Visum ablief.

 

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„Ein Maler-Kollege sagte mir, einer der einfachsten Wege, um sein Visum verlängern zu lassen, sei, einen Kochkurs zu belegen“, erinnert sich Atala heute amüsiert. Anstatt also zurück nach Brasilien abgeschoben zu werden, schrieb er sich in die Hotelfachschule im belgischen Namur ein. Und entdeckte dort die Magie des Kochens für sich. „Ich wusste sofort: All diese Techniken, die ich da zum ersten Mal sah, wollte ich von den Besten erlernen.“

Es folgten mehrere Jahre in den besten Restaurants Belgiens, Frankreichs und Italiens, darunter so prestigeträchtige Adressen wie das  Jean Pierre Bruneaus, oder Bernard Loiseaus legendärer Dreisterner La Côte d’Or. In Milan schließlich fällte der Brasilianer einen Entschluss, der sein Leben verändern würde: zurück in seine Heimat zu gehen. Der Grund: die anstehende Geburt seines Sohnes. „Ich wollte, dass er Brasilianer wird“, sagt er. Was er aber auch wollte: Seiner Heimat zeigen, was er kann. Und was alles in ihr steckt.

Atalas Erfolgsgeheimnis: Vergessene Produkte aus dem Amazonas

Der Erfolg des D.O.M., wo Atala zu Beginn ganz bewusst nur vertraute Geschmäcke Brasiliens servierte, verlieh seinem Gründer das nötige Selbstbewusstsein, um einen Schritt weiterzugehen. Immer öfter begab sich Alex Atala also auf die Suche nach unbekannten und vergessenen Produkten. Fündig wurde er vor allem im Amazonas, einem unerschöpflichen Wunderland in Sachen Biodiversität. Von Ameisen über Palmherzen, Manioc und Schildkrötenfleisch bis hin zu seltenen Fischen wie dem amazonischen Pirarucu oder dem Skelettlosen Bodó – mit seinen kulinarischen Goldgräberabenteuern verschaffte er plötzlich kleinen Produzenten inmitten des Regenwalds Sichtbarkeit: „Die Leute verstanden bald, dass es in unseren Gerichten nicht nur um Geschmack rein um des Geschmacks willen geht, sondern um Kultur, um Nachhaltigkeit, und um soziale Gerechtigkeit.“

Blumen-Ceviche mit brasilianischem Bienenhonig serviert im Restaurant D.O.M.

Image: Leandro Lourenço

Damit traf er den Nerv der Zeit. Leute aus der ganzen Welt begannen, sich für diese neue, kämpferische, abenteuerliche, aber zugleich auch so filigrane und virtuose Küche zu interessieren. Mit Gerichten wie die süßsäuerliche Ameise mit Ananas oder Palmenherzen in Kokosmilch krempelte Atala nicht nur seine Heimat kulinarisch um, sie sorgten auch dafür, dass internationale Gourmetguides zum ersten Mal überhaupt ein brasilianisches Restaurant in ihre Listen aufnahmen. In der renommierten World’s 50 Best-Liste belegte das D.O.M. zu Spitzenzeiten Platz vier, der Guide Michelin zeichnete Alex Atala als ersten Koch Brasiliens mit zwei Sternen aus, und das Time Magazine listete ihn 2013 unter den 100 einflussreichsten Persönlichkeiten weltweit. Man könnte meinen, er habe heute alles erreicht. Oder?

Alex Atalas Kampf geht weiter

„Das D.O.M. hat vieles bewegt, ja“, sagt der unabsichtliche Nationalheld. „Aber wir sind noch lange nicht am Ziel.“ Sätze wie dieser sind der Grund dafür, dass Atala – anders als viele seiner Promikoch-Kollegen – auf weitere Restaurantableger im In- und Ausland verzichtet. Stattdessen kämpft er weiter. Und zwar dort, wo er gebraucht wird. Im D.O.M., einerseits.

Aber auch im von ihm mitbegründeten ATA-Institut, das über Nachhaltigkeitslösungen in der Lebensmittelkette Brasiliens forscht. „Durch das Institut haben wir es geschafft, Transportkosten zu senken, damit den kleinen Produzenten mehr übrigbliebt. Wir haben geschafft, dass Nischenprodukte wie fermentierter Honig oder unpasteurisierte Käsearten eine Zulassung bekommen. Und genau mit dieser Arbeit mache ich weiter, ohne mich von irgendwelchen Expansionsprojekten ablenken zu lassen. Brasilien darf keine grüne Wüste werden. Niemals!“

 

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