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Zurück zu den Wurzeln

Von: Lesezeit: 6 Minuten

Im Kopenhagener Spitzen-Restaurant AMASS verwirklicht der Kalifornier Matt Orlando seine Vision von Nachhaltigkeit und macht kulinarisch das Beste aus Resten. Mitverantwortlich dafür: seine Hippie-Eltern.

Matt Orlando spricht gerne über Müll. Für einen Koch mit seinem Lebenslauf ist das ungewöhnlich, denn der Kalifornier hat in Restaurants gearbeitet, deren Namen Gourmets auf der Zunge zergehen: In Manhattan kochte er für das Le Bernardin in England im The Fat Duck. Zuletzt leitete er die Küche in René Redzepis Noma dem vielleicht besten Restaurant der Welt. Menschen nehmen weite Reisen auf sich, um zu essen, was Matt Orlando kocht.

So einfach wie außerordentlich und nichts geht verloren in der Spitzenküche des Amass.)

Image: Amass

Seit er sich mit seinem eigenen Restaurant Amass in die Selbständigkeit gewagt hat, entwickelt er seine Gerichte jedoch ausgehend vom Müll, den die Zubereitung verursacht. Reste zu vermeiden ist für den energiegeladenen Küchenchef zu einem Sport geworden, bei dem er und sein Team sich zu Höchstleistungen anspornen. Sie trocknen Apfelschalen und servieren diese als Tee. Aus gemahlenen Fischgräten zaubern sie Knödel. Sie kippen das Eiswasser aus den Weinkühlern und das von den Gästen übrig gelassene Tafelwasser zusammen, um damit den Restaurantgarten zu bewässern. Sogar die Kerzenstummel von den Tischen schmelzen sie ein, und gießen daraus neue Kerzen. All das kostet Zeit und die ist in der Spitzengastronomie ständig knapp. Aber Orlando ist stolz auf diese Investition.

Es ist sicher nicht der einfachste Weg, ein Restaurant zu führen. Aber es ist der richtige. Wenn wir als Spezies vorankommen wollen, müssen wir uns mehr Gedanken über unser Handeln machen.Matt Orlando
Mitten im rauen Umfeld des Kopenhagener Hafens gelegenes Fine-Dining-Restaurant Amass.)

Image: Amass

Kochen mit Verantwortung

Mit seiner Frau, der Dänin Julie Bergstrom Orlando, der er im Noma begegnete und die jetzt das Amass managt, suchte er nach einem Standort für den nächsten Karriereschritt. Die beiden fanden diesen in einem damals noch rauen Teil des Kopenhagener Hafens, auf der Halbinsel Refshaleøen, umgeben von Wasser und Werftanlagen. Selbst für die Fine-Dining-Metropole Kopenhagen bedeutete das Amass damals einen aufregenden Neuzugang. Die Tageszeitung Berlingske berichtete 2013 zur Eröffnung vom „größten internationalen Interesse an einem neuen dänischen Restaurant“ das es je gegeben habe. Der Mann, der dieses Interesse auf sich zog, hatte jedoch das Gefühl, noch nicht angekommen zu sein. „Als Chefkoch für jemand anderen ist man sozusagen mikrofokussiert darauf, genau das zu liefern, was diese Person will.“ Das habe seine eigene Vision eingegrenzt. Er nutzte die erste dreiwöchige Winterpause im Amass, um in sich zu gehen – und fand zurück zu seinen Wurzeln.

Innen bietet das Amass eine Kombination aus gehobener Einfachheit, rauem Beton und bunten Graffiti.

Image: Amass

Matt Orlando wuchs in San Diego, Kalifornien auf. Seine Eltern – „echte Hippies“ – gingen mit ihm Surfen und Campen. Die Familie sei oft umgezogen, sagt er. „Aber egal, in welcher kleinen Strandhütte wir gerade wohnten: Wir hatten immer einen Garten. Und Kompostieren gehörte dazu.“ Daran erinnerte er sich als er im Garten seines neueröffneten Restaurants Essensreste in den Kompost kippte. „Das Bewusstsein für die Umwelt, für die Natur, das meine Eltern mir mitgegeben hatten, war plötzlich wieder da.“ Er versammelte sein Team um sich, und hielt, so erzählt er es, eine Art Brandrede:

Ich sagte: Lasst uns dieses Restaurant mit Verantwortung als Maxime wiedereröffnen.Matt Orlando

Seitdem sei die Frage, die jeder Entscheidung vorangehe: Gehen wir verantwortungsbewusst mit den Ressourcen, der Umwelt aber auch miteinander um? Und wenn nicht: Was können wir anders machen?

Am Ende muss der Geschmack überzeugenüberzeugen, aber davor steht der bewusste Umgang mit den Erzeugnissen

Image: Amass

Nachhaltigkeit als Vision

Etwa acht Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen entstehen geschätzt durch den Anbau von Lebensmitteln, die dann weggeworfen werden. „Unser Lebensmittelsystem ist in vielerlei Hinsicht kaputt“, sagt Orlando. Nachhaltigkeit ist sein Leitstern. Fast 100 Prozent der im Amass verwendeten Produkte stammen von dänischen Bio-Bauern oder -Lieferanten. Seinen Fisch bezieht das Restaurant aus lokalen Gewässern und schonendem Fang. Fleisch serviert es nur in kleinen Mengen – Orlandos Eltern erlaubten ihm Fleisch erst als er 13 Jahre alt war – und es muss aus ethischer Haltung kommen.

Orlando verfolgt seine Vision jedoch derart entschlossen, dass diese bereits eine Eigendynamik entwickelt hat – und das über die Küche hinaus. Es störte ihn, dass der Hersteller für Tischwäsche diese in Plastik gewickelt anlieferte. Gemeinsam erarbeiteten sie eine Alternative: Der Zulieferer wickelt das Leinen nun in alte Tischdecken, nimmt diese bei der nächsten Lieferung wieder mit. Und das nicht nur im Amass. „Sie beliefern jetzt etliche Restaurants in der Stadt auf diese Weise. Ihnen spart es Geld. Uns erspart es das Plastik.“

Nicht alle Produzenten sind so kooperativ. Für einen seiner Händler, der das Gemüse in Plastik gepackt vorbeibrachte, wollte Orlando wiederverwendbare Transportkisten besorgen. Das Unternehmen lehnte ab – zu viel Logistik. „Wir arbeiten nicht mehr mit ihnen“, so Orlando.

Restauranteigener Garten mit frischen Kräutern und Gemüse.

Image: Amass

Ressourcen schonen – geschmacklich überzeugen

Von der Küche des Amass sind es nur ein paar Schritte bis zum Restaurantgarten: 900 Quadratmeter Wiese, darauf hölzerne Hochbeete. Sitzt man hier mit einem Drink, kann man über das Wasser bis zur kleinen Meerjungfrau auf der gegenüberliegenden Hafenseite schauen. Blühend und rankend oder strohig und kahl erinnern die Beete vor den Fenstern die Gäste im Restaurant daran, dass jede Saison anders schmeckt. Für die Mitarbeitenden ist der Garten Geschmacksschule und Experimentierfeld: „Hier bekommen wir den ganzen Lebenszyklus unserer Pflanzen mit. Wenn wir diese beim Bauern bestellen, ist es immer nur eine Momentaufnahme.“ So entstand die Idee, Gerichte anhand ihrer Abfälle zu entwickeln.

Bei einem Kürbis beginnt Matt Orlando zum Beispiel mit der harten Schale. Er röstet diese bis sie weich und schwarz ist, sich die Aminosäuren darin in Zuckern verwandeln und serviert sie gewürzt mit Kürbis-Miso als dunkles Püree. Kerne und Fasern fermentiert er in Salzlake, verarbeitet sie zu süß-saurem Pulver und Öl und würzt mit beidem das weich gedämpfte Kürbisfleisch. Weg ist der komplette Kürbis. Die meisten Gäste wissen, dass die gekonnt angerichteten Gänge ihres 160-Euro-Menüs zum Teil aus Zutaten bestehen, die sie in der eigenen Küche aussortieren würden.

Der Geschmack muss sie überzeugen. Wenn wir sie damit zum Nachdenken bringen, dann haben wir schon einiges erreicht.Matt Orlando
Auch das architektonische Konzept folgt der Regel aus bestehendem etwas inspirierendes Inspirierendes zu machen.

Image: Amass

Seit der Eröffnung hat sich die Abfallmenge des Restaurants um 75 Prozent, der Wasserverbrauch um 5200 Liter pro Jahr reduziert. Matt Orlando genügt das aber nicht. Er will seine Erfahrungen weitergeben. In der Testküche dehydrieren, reiben, flämmen oder dämpfen er und sein Team seit Jahren Reste wie Grünkohlstengel oder Zitronenhaut, um herauszufinden, welche Zutaten sich daraus machen lassen. „Wir wissen, wie man aus Resten etwas Köstliches herstellt.“ Während der Pandemie hat er nun einen Forschungsraum eingerichtet, in den er Lebensmittelproduzenten zur Zusammenarbeit einlädt.

Aus ihren Abfällen sollen neue leckere Produkte entstehen. Erster Erfolg: Ein Sauerteig-Karamell-Eis mit Schokoladenüberzug, eine Kooperation mit der Großbäckerei Jalm&B und dem Eiscreme-Hersteller Hansens. Die Grundlage ist altes Brot, das in Sirup verwandelt und dann mit Milch vermischt wird. Aus 350 Kilo Brot entstanden so 15.500 Stieleise – die erste Großproduktion für das Amass und gleichzeitig der erste Aufschlag im Supermarkt. Das Eis verkaufte sich so gut, dass Jalm&B im nächsten Jahr 150.000 Stück produzieren will. An jedem verdient das Amass ein bisschen mit.

Nicht nur einzelne Süßspeisen lassen sich neu gestalten, sondern auch Produkte für die Großproduktion.)

Image: Amass

Nachhaltige Gastromonie – ohne Zäune

Matt Orlando weiß, dass ein Fine-Dining-Restaurant nicht viel abwirft. Einer seiner früheren Chefs habe ihm geraten: Wenn du reich werden willst, mach eine Pizzeria auf. „Die Kosten, die ein Spitzenrestaurant verursacht, sind Irrsinn“, sagt Orlando. „Wir verlangen für das Essen nicht so viel, wie wir sollten. Aber immerhin verlieren wir mit dem Amass auch kein Geld.“ Verantwortungsbewusst zu handeln kann schließlich auch bedeuten, dass man nachhaltig wirtschaftet. Der Garten zum Beispiel könne nur etwa zehn Prozent dessen liefern, was die Küche benötigt, sagt Matt Orlando. „Deswegen bauen wir dort die Zutaten an, die wir sonst teuer einkaufen müssten: Blüten, Sprossen, Kohl, Beeren. Dadurch sparen wir uns einiges an Geld. Trotzdem ist das Gelände nicht eingezäunt. Orlando sieht es als Gemeinschaftsort für Gäste und Nachbarn. Auch Schulkinder dürfen im Rahmen des Amass Green Kids Program vorbeikommen und gemeinsam mit ihm und dem Amass-Team gärtnern.

So gibt er weiter, was er von seinen Eltern gelernt hat. Gerade sei seine Mutter zu Besuch gewesen, zum ersten Mal nach 20 Monaten. Er habe sie durch das Restaurant und den Garten geführt, ihre vielen Fragen beantwortet. „Wir waren ganz alleine hier. Als ich ihr sagte, dass sie und mein Vater die Inspiration für all das waren, kamen ihr die Tränen.“

Eigene Erfahrungen als Grundlage zur Entwicklung einers verantwortlichen Haltung in der Gastronomie.

Image: Amass

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