Ein einstöckiger Zweckbau im Industriegebiet von Burlingame, umgeben von Waschstraßen und Fastfood-Drive-Ins. Der San Francisco International Airport ist nur ein paar Autominuten entfernt. Die Räume in der ersten Etage haben das standardisierte Flair eines Büromöbelkatalogs. Gut ein Dutzend Programmierer und Entwickler verteilen sich im Großraum-Office, fast verschwinden sie hinter doppelten und dreifachen Paravents aus Bildschirmen. Erst vor vier Wochen ist die junge Firma hier eingezogen. Es herrscht Aufbruchsstimmung.
Daniel J. Laury und sein Kompagnon Akshat Patel arbeiten hier unter Hochdruck am Aufbau eines autonom fahrenden Food-Lieferservice. Udelv, das Akronym steht für ‚you deliver‘, steuert Food-Märkte an und bringt das Essen von dort zu den Konsumenten. „Wir erleben eine Revolution im Transportwesen, wie damals, als das Automobil die Pferdekutsche ablöste.“ Für CEO Daniel J. Laury, 56, orangefarbene Weste mit Udelv-Logo über einem blauen Button-Down-Hemd, steht fest: Das autonome Fahren wird die Welt verändern. Laury ist Franzose und hat schon in unterschiedlichste Branchen investiert. Seit Ende 2016 setzt er auf Hightech-Mobilität. Sein in Indien geborener Partner Akshat Patel ist als Ingenieur der Technikverantwortliche im Team. Der große, schlanke 29-Jährige hat bei Tesla und Apple sein Rüstzeug erworben, jetzt arbeitet er an der zweiten Generation der führerlosen Lieferfahrzeuge.
Udelv gilt als Pionier im autonomen Lieferservice. „Wann immer neue Mobilitätsmodelle entwickelt wurden, war das Transportwesen in erster Reihe.“ Daniels Englisch hat eine kaum noch wahrnehmbare französische Färbung. „Bevor man autonomen Fahrzeugen Menschen anvertraut, werden sie Waren transportieren.“ Bei Udelv fing alles mit einem kleinen elektrischen Nachbarschaftsauto an, das mit einer Höchstgeschwindigkeit von 25 Meilen pro Stunde, sprich rund 40 km/h, in den Wohnvierteln unterwegs war. „Jedes der Udelv-Fahrzeuge ist mit 18 Fächern ausgestattet und findet dank Lidar-Technologie fahrerlos den Weg. Der Kunde erfährt über eine Push-Nachricht der App, dass seine Ware anrollt, und kann bei Eintreffen mithilfe eines Codes das für ihn reservierte Fach öffnen“, erklärt Daniel knapp die Funktionsweise der Flotte. Sowohl Hardware, also der Fahrzeugaufbau mit den Fächern, als auch die Bedienungs-Software stammen von den Udelv-Entwicklern.
Die zweite Generation der Fahrzeuge basiert auf einem Ford-Chassis mit normalem Verbrennungsmotor. Die neuen Lieferwagen sind mit höheren Geschwindigkeiten unterwegs, mit bis zu 100 km/h, haben eine größere Reichweite und können auch auf Highways fahren. „Das erweitert unseren Aktionsradius natürlich beträchtlich.“ An die zwei Stunden können Speisen und Nahrungsmittel in den Fächern gekühlt oder warmgehalten werden. „Die Kühlung ist problematischer als das Warmhalten. Wir operieren momentan viel in Arizona, wo im Sommer Temperaturen nahe 45 Grad herrschen. Dort legen wir dann auch Eistaschen mit in die Fächer, um beispielsweise gefrorene Ware vor dem Auftauen zu bewahren. Zum aktuellen Zeitpunkt fahren wir ja in erster Linie Lebensmittel aus. In Kürze sollen aber auch warme Speisen, Blumen und Medikamente dazukommen. Alles ist drin.“
Warum der Nachbarstaat gerade so beliebt in der Branche ist, hat einen ganz einfachen Grund, erklärt Daniel. „Die großen Automotive- und Tech-Companies testen ihre fahrerlosen Autos momentan in Arizona und Texas. Denn hier braucht man keine Genehmigung, um autonom fahrende Vehikel einzusetzen.“ In Kalifornien hat bislang nur die Google-Tochter Waymo die Erlaubnis fahrerlos zu operieren. Aber Udelv hofft, zum Ende des Jahres genug gefahrene Testkilometer nachweisen zu können, um ebenfalls in der Bay Area zugelassen zu werden und durchzustarten.
Die größte Herausforderung zum jetzigen Zeitpunkt? Das sogenannte Mapping. „In unseren Einsatzgebieten müssen wir jede einzelne Straße abfahren und digitalisieren, jede Spur, jede Einfahrt, jede Ampel muss kartografiert werden. Das ist sehr teuer, zeitaufwändig und personalintensiv“, räumt Daniel ein. Eine Hausaufgabe, die Google natürlich längst erledigt hat.
Wer wird also der Erste sein, der die bahnbrechende Technik im großen Stil zur Anwendung bringt? Hat ein 30 Mitarbeiter starkes Start-up auf der Langstrecke eine Chance gegen die Tech- und Automobil-Riesen? Daniel ist zuversichtlich. „Bis jetzt haben wir noch keinen direkten Mitbewerber für die Last und Middle Mile Delivery, aber Ford, General Motors und Daimler arbeiten an ähnlichen Modellen.“ Dennoch hat Udelv schon zwei potenzielle Großkunden in Aussicht. „Im Moment haben wir ein Flotte von fünf Wagen, zwei davon sind gerade bei Walmart in Surprise, Phoenix, im Testeinsatz. „In den nächsten sieben Monaten wollen wir unsere Belegschaft von 30 auf 150 aufstocken und die Flotte um etwa 15 Fahrzeuge erweitern. Mittelfristig könnten es 100 000 werden.“ Groß zu denken hat Daniel Laury in den USA gelernt. Und tatsächlich, mit Kunden wie Walmart scheinen solche Dimensionen durchaus im Bereich des Möglichen.