Kurzum: Heutzutage fehlt es an jedem Anreiz für junge Leute in den Service oder die Küche zu gehen. Für andere am Herd stehen? Bedienen? Schuften bis der Arzt kommt, mental und körperlich, um sich mit einem Hungerlohn nach Hause zu schleppen. Leidenschaftlich gern Gäste glücklich stimmen? Was bitte ist an dieser Branche sexy?
„Junge Leute kennen die Schönheiten des Berufes nicht mehr“, bedauert Anke Büttenbender von der Dehoga Hamburg die Situation. „Während die Politik Abitur und Studium über alles stellte, haben in Deutschland viele Branchen geschlafen. Wir auch. Andere Länder ahmen unser System der dualen Ausbildung inzwischen nach, bei uns ist es komplett in Verruf geraten. 2018 wurden in unserer Branche in ganz Deutschland 1,6 Prozent weniger Ausbildungsverträge abgeschlossen als noch im Jahr zuvor. Der Mangel summiert sich.“
Überall: Das große Jammern
Das Jammern ist gigantisch: Laut einer internationalen Studie von TripAdvisor (2018) klagen die deutschen Wirte am heftigsten. 70 Prozent empfinden den Fachkräftemangel als Mega-Hürde, um weitermachen zu können. Schlimmer als Terrorismus, Over-Tourismus und Weltwirtschaftskrise. Franzosen, Engländer und Italiener sehen das zwar weniger krass, aber leiden auch. Und immerhin 37 Prozent der US-amerikanischen Chefs beurteilen die Lage ähnlich, fand die National Restaurant Association heraus. – Und nun? Kleinere Speisekarten, kürzere Öffnungszeiten, dichtmachen und noch weniger verdienen. Eine Lösung. Oder innovativer werden?
Wie lassen sich Profiküchen aus dem Tiefschlaf wecken? Faktisch kann die Gastronomiebranche mit begehrenswerten Benefits boosten: Lange schlafen kann wer hier arbeitet nämlich wirklich. Im Restaurant oder Hotel begegnet man dann so verschiedenen Typen wie sonst eigentlich nur auf Reisen. Und selbst das gehört zum Job: Durch die Welt tingeln und herumkommen sind quasi inklusive. Denn als angehender Profikoch oder Küchenchef ist internationale Erfahrung ein Muss und als Restaurantfachkraft ist man überall erwünscht.
Wohin sollte Mike sich jetzt also aufmachen?
Japan: „Herr Ober!“ Klick. Send.
Genau genommen sieht es an anderen Ecken und Enden der Welt kaum anders aus als in Deutschland. Service in Japan? Klar, aber digital. „Hallo, Herr Ober!“ auf Japanisch muss man gar nicht erst googeln. Im Izakaya, dem japanischen Pub, werden auf dem Tablet bunte Bilder angeklickt, um zu bestellen. Super easy, fix und effizient. Sieht lecker aus und jeder weiß, was ihm serviert wird. Praktisch, besonders für die in Scharen kommenden hungrigen Touristen Tokyos. Denen könnte Mike also vieles auftischen.
Aber: In der Küche verfährt inzwischen in Japan so mancher Gastronom ebenso wie im Service. Nach dem Motto „Run the kitchen tight“ wird Personal gespart. Egal, ob Nudelküche oder Großküche. Die Bevölkerung altert rasant und Babies gibt es kaum noch. Also: kein Nachwuchs für den Herd in Sicht.
Ohnehin wollen die jungen Hodo-Hodo-Zokos (Millennials auf Japanisch) am allerliebsten Western Food. Viele traditionelle japanische „Mom and Pop“-Kitchens werfen den Kochlöffel und geben auf. Für die wachsende Zahl an Singles sind die Snacks der großen Ketten heiß begehrt. Nachdem die wirtschaftlich schwierigen Zeiten überstanden sind, schreit die Generation 90 zwar nicht unbedingt nach gutem Service, will aber die eigene Küche nicht schmutzig machen. So verbuchen Fastfood und Konzeptdining ebenso wie Lunch Boxen und Bentos aus dem Supermarkt ein riesiges Wachstumspotential. Doch oh weia! Selbst die Ketten und die Großküchen für den Self-Service bräuchten dringend Leute!
Gute Aussichten für qualifizierte Young Professionals wie Mike? Gerade in Japan hat bislang keiner daran gedacht, den Job im Restaurant oder Hotel attraktiver zu machen. Gute Gehälter können sich Nudelküchen und Sushi-Places nicht leisten und Training? Gibt es meist on-the-job. Wenn dann einer Sushi rollen oder das Küchenequipment bedienen kann, wartet am Ausgang ein Werber, der ihm ein bisschen mehr Geld bietet. Schon war für den „Ausbilder“ das Investment umsonst. Loyalität – Fehlanzeige.
Die ist heute auch in Deutschland kein Garant mehr für den Ausbildungsbetrieb einen guten Young Professional zu halten. Dabei wollen das heute, laut Dehoga, eigentlich alle. Die Aussicht auf Never-Jobless ist mit der Qualifikation zu Koch oder Kellnerin garantiert.
Fantastische Aussichten für junge Profis: Wer clever ist, weiß sein Talent zu verkaufen und den eigenen Marktwert zu steigern. In den Gourmetküchen Europas, und Asien oder im Heimatland der Foodketten, in den USA.
Dort herrscht Kampfstimmung im Food- und Gastroservice. Die Wirtschaft boomt, kulinarische Gelüste steigen, beste Zeiten für eine Renaissance der Esskultur. Allein zwischen 2016 und 2017 eröffneten 15.145 neue Restaurants.
USA: Konkurrenz um Kitchen Stuff
Noch viel mehr neue Restaurants könnten aufmachen. Wenn sie denn Personal in der Küche hätten. Der Markt ist leergefegt. Bis 2026 sucht die Foodindustrie in den Staaten etwa 150.000 neue Profiköche. Wer eine erfahrene Fachkraft einstellen will, muss allerdings tiefer und tiefer in die Tasche greifen.
Kein Wunder. Billig ist es nämlich nicht, sich in einer amerikanischen Culinary oder Cooking School ausbilden zu lassen. Zwei Jahre kosten bis zu 150.000 Dollar. Diese Schulden im Nacken starten die Absolventen – die jetzt alles theoretisch können, aber nie im Restaurant gearbeitet haben – in Beginner-Jobs, die kaum 10 Dollar die Stunde und 22.000 bis 35.000 Dollar pro Jahr bringen. Die Studienschulden abzubezahlen und in Los Angelos, New York oder Washington seinen Job zu machen – für Millenials extrem utopisch.
Hier wittern clevere Restaurantbesitzer und Foodketten wie McDonald`s ihre Chance und locken damit, die Fachkräfte finanziell auszulösen. Andere bilden in kostenlosen Colleges selbst aus. Matt Fareik von Slow Food Madison nennt sein First Course-Programm daher treffend ein „Get-the-job“-Programm. Ehemalige Häftlinge, Obdachlose, Langzeitarbeitslose und Veteranen, alle, die trotz Fast-Vollbeschäftigung noch im Arbeitskräftemarkt verfügbar sind, bekommen mit dem Programm in der Gastronomie ihre Arbeitsgarantie. Wenn auch nicht, unter idealen Bedingungen.
„Ich hab das Supergefühl, ich hab´ den Hype erwischt“, pfeift Mike auf alle Nachteile des Jobs. „Es fehlt eben an Fachkräften an allen Ecken und Enden. Mehr Chancen hätte ich mir nicht schaffen können. Und wenn es zukünftig in Küchen digital zugeht, lern´ ich das dazu. Virtuell satt werden wir ja 100-prozentig nicht so schnell.“