Bereits im Jahr zuvor war Chefin Ana Roš vom britischen ‚Restaurant‘-Magazin zum ‚Best Female Chef‘ gekürt worden. Es folgte, längst überfällig, die Bewertung durch den Guide Michelin. In dem 2020 erstmalig für Slowenien veröffentlichten Führer wurde die Küche der Autodidaktin als einzige des Landes mit zwei Sternen ausgezeichnet.
KTCHNrebel sprach mit der Ausnahmeerscheinung Ana Roš über ihre Erfahrungen mit den Michelin-Inspektoren, ihre rettende Idee im Corona-Jahr 2020 und ihren Ehrgeiz, das Hiša Franko zum besten Restaurant der Welt zu machen.
Sie waren in Ihrer Jugend Skirennfahrerin, fuhren in der jugoslawischen Nationalmannschaft, später wollten Sie Diplomatin werden. Sie beherrschen fünf Sprachen. Aber Kochen konnten Sie nicht. Wie sind Sie dahin gekommen, wo Sie heute stehen?
Ich stieg in das Familienrestaurant meines Mannes Valter ein, fing bei null an, aber ich wollte mich unbedingt ausprobieren. Beim Kochen habe ich aus allem eine Studie gemacht. Ich musste dadurch viel mehr nachdenken als jemand, der die Techniken gezeigt bekommt, hatte aber auch mehr kreative Freiheit. Mein Ziel war nicht, eine bekannte Köchin zu werden. Die Frage war vielmehr: Können wir Leute überzeugen, in dieses abgelegene Restaurant auf dem Land zu kommen? Können wir finanziell überleben?
Sie servieren unter anderem Wildbirne aus dem eigenen Garten mit Scampi, Liebstöckelöl und Haselnüssen. Keine traditionelle slowenische Landküche.
Mein Essen ist eine Symbiose aus der Umgebung, der Jahreszeit und meiner Persönlichkeit: Ich bin wie ein Vulkan, aber auch neugierig und voller Widersprüche. Deshalb arbeite ich mit Kontrasten, vor allem mit süß und pikant, und verwende viele Früchte. So entsteht etwas Neues, Unerwartetes. Gleichzeitig speist sich meine Küche aus der Natur, die das Soča-Tal zu bieten hat. Damit meine ich zum Beispiel die Forellen, für die unsere Flüsse berühmt sind, aber auch Wild, Waldfrüchte, Obst, Gemüse und Kräuter aus dem Garten hinter dem Haus.
Lange Zeit gab es keinen Guide Michelin für Slowenien. 2020 ist die erste Ausgabe erschienen und Sie haben auf Anhieb zwei Sterne bekommen. Ausgerechnet im Corona-Jahr …
Es war natürlich ein besonderer Moment, als die Michelin-Tester nach Slowenien kamen. Für manche war der Zeitpunkt sicher nicht ideal, für uns hat das Timing aber gepasst. Aufgrund der Reisebeschränkungen waren wir im letzten Jahr besonders auf regionale Gäste angewiesen. Früher konnte man ja oft über Monate keinen Tisch bei uns bekommen und den Gästen aus der Gegend war die Warteliste nicht selten zu lang. Zudem haben wir durch die Sterne mehr Aufmerksamkeit in unseren Nachbarländern bekommen, sprich in Kroatien, Ungarn, Italien, aber auch Österreich und Deutschland, von Menschen, die uns vorher nicht kannten und die nun eine Reise nach Slowenien ins Auge fassten.
Haben Sie nicht auch ein bisschen mit einer Auszeichnung gerechnet, nach den Erfolgen der letzten Jahre?
Ganz ehrlich: Ich wusste nicht, was passieren würde, wenn die Inspektoren kommen. Bei Michelin gibt es bestimmte Grundsätze. Ich konnte schwer einschätzen, wie die Tester auf meine Art zu kochen reagieren würden und ob wir in die Michelin-Welt hineinpassen würden. Ich war auch nicht zu Kompromissen bereit. Am Ende haben wir dann aber wohl überzeugt. Hiša Franko ist ein autodidaktisches Projekt, wir sind in einer Region gewachsen, die lange nicht nur keinen Guide Michelin kannte – auch jeder andere Gourmetführer hat gefehlt. Wir haben von Beginn an nach unseren eigenen Regeln gekocht. Dass diese Besonderheit nun Anerkennung gefunden hat, macht mich sehr glücklich. Abgesehen davon bin ich niemand, der sich auf Erfolgen ausruht.
In einem Interview haben Sie einmal gesagt, sie würden sich dem Druck, der mit der Verleihung eines Michelin-Sterns einherginge, nicht gerne aussetzen. Spüren Sie jetzt diesen Druck?
Nein, davon habe ich mich befreit. Für mich ist jeder Gast gleich wichtig – ich gebe immer das Beste. Ich brauche kreative Freiheit und wünsche mir, dass dieses Restaurant einmal das beste Restaurant der Welt sein wird. Das meine ich aber ganz unabhängig von Sternen. Nur nach meinen eigenen Bewertungskriterien. Denn es ist ja so: In jeder Ecke der Welt wird anders gekocht. Es ist eigentlich unmöglich, da ein ‚bestes Restaurant‘ zu küren. Mir geht es vielmehr darum, meine Träume zu realisieren.
Wo möchten Sie sich noch perfektionieren?
Wir überarbeiten momentan unser Beverage-Konzept. Sämtliche Mitglieder unseres Service-Teams besuchen gerade 13 slowenische Weingüter und bekommen Schulungen und Einblicke in die Arbeitsweisen und Besonderheiten der jeweiligen Betriebe. Außerdem gibt es eine Koop mit der Modedesignerin Matea Bendetti. Sie war in Slowenien Fashion Designer des Jahres 2020 und arbeitet mit nachhaltigen Materialien wie Bambusfasern, Apfel- und Ananasleder. Bendetti entwirft verrückte Muster und wird unser Service-Team einkleiden. Wir werden wie Schmetterlinge aussehen (lacht).
Was hat der bisherige Erfolg für Sie geändert?
Ich habe eine Stimme bekommen. Nachdem wir 2016 im Netflix-Format ‚Chef’s Table‘ präsent waren, habe ich 515 Interviews gegeben, im darauffolgenden Jahr waren es 450. Das bedeutet: Ich werde jetzt in der kulinarischen Welt gehört – was uns besonders im Corona-Jahr geholfen hat. Ich habe nun einen gewissen politischen Einfluss in Slowenien und kann für die hiesige Gastronomie eintreten.
2017 wurden Sie vom britischen Magazin ‚Restaurant‘ zur besten Köchin der Welt gekürt. Ihre Kollegin Dominique Crenn, die den Titel ebenfalls schon bekommen hat, sprach sich gegen die Unterteilung in Männer und Frauen aus. Wie sehen Sie das? Finden Sie, der Titel der besten Köchin sollte weiter vergeben werden?
Ja. Für mich gibt es einen großen Unterschied zwischen Köchen und Köchinnen. Ich spreche nicht über die Qualität, sondern über die Anstrengung, die eine Frau unternehmen muss, um überhaupt dorthin zu kommen. Insbesondere wir Mütter und Hausfrauen müssen so viele Kompromisse schließen, um auf dem gleichen Level wie die männlichen Chefs arbeiten zu können. Dieser Titel gibt uns die Möglichkeit, über unsere Lebensrealität zu sprechen, die sich in meinen Augen ziemlich von der der Männer unterscheidet. Ich bin dankbar für den Preis.
Führen Sie anders?
Ja, im Vergleich zum klassischen Weg wohl schon. Ich höre mehr zu, bin nicht streng und sehr lösungsorientiert. Kurzum: Ich bin kein General, sondern eher Psychotherapeutin.
Sie haben 2020 ein extrem herausforderndes Jahr hinter sich gebracht. Die slowenischen Grenzen waren geschlossen. Sie waren mit Ihrem 37-köpfigen Team im Lockdown und mussten die Moral hochhalten. Wie ist Ihnen das gelungen? Und wie haben Sie die Zeit genutzt?
Wir haben eine eigene Lebensmittelmarke aufgebaut und 32 eigene Produkte entwickelt, somit ein Verbindungsglied zwischen den slowenischen Farmern und den Haushalten geschaffen. Denn, sehen Sie, durch Corona war vieles unterbrochen. Schulen, Kindergärten, Restaurants – alles war geschlossen und es war eine große Herausforderung für die Familien, täglich für alle abwechslungsreiche und gesunde Kost auf den Tisch zu bringen. Auf der anderen Seite mussten die Farmer Hektoliter von Milch entsorgen, weil sie keine Abnehmer fanden. Hüttenkäse, Molke, Fleisch – alles blieb liegen. Wir haben Kontakt zu der drittgrößten slowenischen Supermarktkette Tuš aufgenommen und einen Vertrag geschlossen. Das war und ist noch immer ein sehr schwieriger Prozess, weil wir die Industrie überzeugen müssen, nach unseren Regeln zu spielen, auch in Sachen Preisgestaltung. Die Industrie darf die Farmer nicht im Preis drücken und wir überprüfen mit Tests, ob die verarbeitenden Unternehmen unsere Standards einhalten. Aber es funktioniert. Im letzten Jahr konnten wir so seit Oktober 300 000 Produkte verkaufen. Wir retten die Farmer, wir bleiben kreativ, ich teile den Profit mit meinem Team und die Menschen zu Hause kommen in den Genuss des bestmöglichen Essens, das einer transparenten Lieferkette entstammt.
Können Sie uns Beispiele für Ihre Produkte nennen?
Wir haben einige Eiscremesorten kreiert: Hochalpenmilch mit Salbeihonig, Sauermilch mit Kastanienhonig, Gebackener Apfel und Kiwi mit Bergamotte. Dann gibt es beispielsweise Lamm-Pastrami, Kürbisgnocchi mit Bergkäse und Salbei, Crackers mit slowenischem Roggenmehl, Sauerteigbrot, Dulce de Leche aus Hochgebirgs-Molke, Toffee mit slowenischen Haselnüssen, scharfe karamellisierte Walnüsse, den Nusskuchen Potica. 30 weitere Produkte sind in der Entwicklung. Unser Ziel ist es, in drei Jahren den gesamten Warenkorb zu füllen. Wir haben also viel zu tun.
Es klingt, als seien Sie wirklich gut durch die Krise gekommen.
Nun, für jedes Problem gibt es eine Lösung. Man darf nie aufgeben. Auch ich schlafe in manchen Nächten nicht. Auch ich habe manchmal gedacht: Das Leichteste wäre jetzt, einfach aufzugeben. Aber ich bin sehr froh, dass wir es nicht getan haben. Denn es gibt immer ein Licht am Ende des Tunnels. Wir haben das Licht gefunden und das Lebensmittel-Projekt hat uns als Team noch mehr zusammengeschweißt. Am 28. Mai dürfen wir wieder öffnen. Auch wenn wir dann noch nicht über den Berg sind, sind wir auf dem Weg.