- Mit welchem Aufwand an Energie und Ressourcen Lebensmittel und Zutaten erzeugt, verarbeitet und transportiert werden.
- Wie schonend und verantwortungsvoll dabei mit Mensch, Tier und Umwelt umgegangen wird.
- Und was mit Abfällen und Resten geschieht.
Viele Erneuerer in der Gastronomie haben sich längst auf den Weg gemacht und stellen sich diesen und weiteren Fragen – in der Lieferkette, den Küchen von Restaurants, Cafés und Kantinen und auf dem Teller. Ihre Ideen und Geschichten sind so unterschiedlich, abwechslungsreich und kreativ wie unser Essen selbst. Hier stellen wir einige von ihnen vor.
Der Radikale
Radikal bedeutet: zurück zu den Wurzeln. Genau das treibt Ludger Fetz im Jagdhaus in Oberstdorf an. Zutaten aus heimischer Erzeugung für eine gradlinige, gehobene Wirtshausküche, die bewusst auf weniger statt mehr setzt.
Ein Essen sagt ja manchmal mehr als tausend Worte. Im denkmalgeschützten „Jagdhaus“ in Oberstdorf wird ein Kalbsschnitzel „Münchener Art“ in angemessener Größe serviert.
Die goldbraune Panade mit Senf und Meerrettich unter der Semmelbrösel-Haut ist hauchdünn, ein Flöckchen Butter und frisch geriebener Meerrettich thronen darauf. Es duftet verführerisch. Frisch gebratenes Fleisch, großzügig in Butterschmalz gewendet. Dazu Preiselbeeren und Bratkartoffeln. Ein Gericht ohne Schnickschnack, ja sogar ohne Zitrone und Pfeffer, was wiederum kein Versehen ist.
Die Zutaten im Jagdhaus, so der Anspruch, werden ausschließlich in Deutschland und Österreich erzeugt. Etwas anderes kommt nicht auf den Teller.
Der Mann, der sich das vor einigen Jahren in den Kopf setzte und seitdem vorantreibt, schleppte gerade noch eine Euro-Palette über den Kies der Einfahrt hinters Wirtshaus und sieht auch sonst nach Arbeit aus: schwarzes, nicht ganz fleckenfreies T-Shirt, schwarze Arbeitshose, Lesebrille mit schwarzem Gestell.
„Gehobene Wirtshausküche, bei der wir uns bewusst beschränken und konzentrieren. Brutal lokal halt“, umreißt Ludger Fetz seine Philosophie. Sie macht aus dem Jagdhaus ein Restaurant mit Biergarten, bei dem Nachhaltigkeit auf mehreren Ebenen gelebt wird. Ökologische, ökonomische und auch soziale Ziele in einer Art Gesamtpaket.
10 Jahre Konzeptküche
Fetz, Jahrgang 1964, stammt aus dem Loreley-Tal in Rheinland-Pfalz und ist gelernter Koch. Vor fast zehn Jahren fing er im Jagdhaus an mit seiner Konzeptküche. Da besaßen er und seine Frau, eine gebürtige Oberstdorferin, im Ort bereits ein Hotel, ein Sterne-Restaurant und ein Restaurant, in dem die Gerichte in Weckgläsern serviert werden. Aber das reichte Fetz, den gute Bekannte und Freunde „Luggi“ rufen, nicht.
Einerseits wollte er wieder mehr selbst kochen, Gerichte ausprobieren, machen. Außerdem gab es da bei ihm diese alte Zuneigung zu einer naturnahen, einfachen, ehrlichen Küche, wie er sagt:
„Mein Großvater war Metzger, mein Vater Winzer, der einen Landgasthof betrieb. Wie man Blaukraut anpflanzt, ein Schwein schlachtet oder Bratwurst macht: das habe ich als Kind unmittelbar erlebt.“
Als sich dann 2011 plötzlich die Chance auftat, das Jagdhaus zu pachten, flammte das alles wieder auf. In seinem Kopf begann es zu rattern.
„Wenn du so ein Haus als Gastronom betreiben darfst, dann musst du eine Idee haben, um es überzeugend zu positionieren. Die Liebe und Philosophie müssen stimmen“, sagt er.
Nimmt man im Jagdhaus Platz, versteht man schnell, was Fetz meint. Niedrige Decken aus Holz. Knarzende Holzböden. Gemütliche Stuben mit Kamin. Geweihe, alte Fotos und Gemälde an den Wänden. Eine urig-bayerische und zugleich feine Atmosphäre. Eigen und edel. Prinzregent Luitpold von Bayern erbaute das mit Holzschindeln verkleidete Haus 1856 als Königliches Jagdhaus. Für den leidenschaftlichen Jäger war es ein Ausgangspunkt für die Hochwildjagd in den Allgäuer Alpen. Verlief die erfolgreich, kam heimisches Wild auf den Tisch.
Regionale Lebensmittel und Qualität
„Regionalität spielte beim Prinzregenten eine große Rolle“, sagt Fetz. Und an diese Tradition will er anknüpfen, wobei er sich auch von Spitzen-Restaurants wie dem Noma in Kopenhagen oder dem Nobelhart & Schmutzig in Berlin inspirieren ließ. Sein Rind- und Kalbsfleisch zum Beispiel kommt aus den Allgäuer Alpen, das Wild aus einer eigenen und zwei weiteren umliegenden Jagden. Zehn ganze Rinder pro Jahr kauft er, die fast vollständig verwertet werden, natürlich inklusive der Knochen. Ein kleiner, sinnvoller Beitrag gegen Lebensmittelverschwendung. Außerdem sind die Lieferwege sind kurz und die regionalen Lieferanten werden gestärkt.
„Klar, ich könnte neuseeländisches Wild kaufen, das ist preiswerter, aber das wäre eben nicht dasselbe.“ Zum einen sind da der Lieferweg und die Energie, die dafür aufgewendet werden müssen, von den Emissionen ganz zu schweigen. Zum anderen ist da der Geschmack.
Für Wildgulasch zum Beispiel würden viele Köche Gewürzmischungen verwenden, weil das Fleisch, das sie verwenden, milder schmecke, sagt Fetz. „Aber bei einem guten Fleisch aus der Jagd braucht man das nicht. Hier im Allgäu ist der Wald eher dunkel, der Fleischgeschmack per se intensiver, weil das Wild herzhaftere Nahrung hat. Wenn man das gut zubereitet, braucht man keine exotischen Gewürze. Die nehmen dem Ganzen sogar eher den Charakter.“
Brutal regional
Trotzdem ist der Anspruch, nur Produkte aus Deutschland und Österreich zu verarbeiten, herausfordernd. Fetz und sein Team haben jahrelang überlegt, getestet und probiert, um daraus ein stimmiges Angebot zu machen – und im Grunde hören sie nie damit auf.
Denn die Liste der Zutaten, auf die das Jagdhaus verzichtet, ist lang: Mango, Ananas, Vanille und Zitronen zum Beispiel, oder auch Zimt, Knoblauch, Nelken und Pfeffer. Dafür werden Äpfel und Mirabellen serviert. Bärlauch ersetzt den Knoblauch. Auf Muskatnuss im Kartoffelpüree verzichtet man so: Haselnüsse anrösten, mit Milch aufgießen, einkochen, die Milch für‘s Püree verwenden, die Nüsse für’s Dessert. Oder es wird statt einer Crème brûlée mit Vanille ein Landrahm-Dessert mit Sig serviert, einer Molke aus dem Bregenzer Wald, die einen leichten Lakritz-Karamell-Geschmack hat. Oder es gibt Eis von Bauer Roman aus Oberstdorf: Sauerrahm-, Apfel- und Birneneis. Kriegt man schon ein bisschen Appetit, bei der Aufzählung.
Ländliche Vielfalt neu entdecken
Aber wie kann man Pfeffer ersetzen? Übertreibt es Fetz hier nicht? „Wir sagen unseren Gästen: Wenn ihr möchtet, bekommt ihr auf Wunsch eine Pfeffermühle, kein Problem. Aber versucht es doch erst einmal ohne. Unsere Gerichte benötigen keinen Pfeffer, vertraut uns. Lasst euch darauf ein.“ Natürlich führte das anfangs auch zu Konflikten. Gäste, denen dieser Purismus zu weit ging. „Oder wir hatten im Team Diskussionen nach dem Motto: Der Kunde ist König, wir dürfen ihm nicht zu viel vorschreiben“, erinnert sich Fetz. „Aber mir gefiel halt diese Idee, eine klare Kante zu zeigen. Und sie gefällt mir immer noch.“
Zumal sich peu a peu immer mehr Besucher darauf einließen. Außerdem ließ sich Fetz noch etwas einfallen: Statt einer Pfeffermühle steht heute eine Gewürzmühle auf dem Tisch. Die Zutaten kommen aus dem Alpenraum, zwei ältere Damen aus Oberstdorf sammeln sie für Fetz: Bärwurz, Engelskraut, Beifuß, Schnittlauch, Petersilie und – für die Schärfe – Meerrettich. „Das ist unser Weg, das Jagdhaus-Weg“, sagt er. Wobei, zufrieden ist er noch nicht. „Der erste scharfe Kick fehlt noch, wir feilen weiter an der optimalen Mischung!“
Nachhaltigkeit statt Tetrapacks
Apropos Optimum. Luft nach oben gibt es in praktisch jedem Bereich, sagt Ludger Fetz. „Fertig sind wir hier nie.“ Ein Beispiel: Im Jagdhaus würden sie sehr gerne auf Tetrapacks für Milch verzichten. „Unser Lieferant aus dem Allgäu aber sagt: Luggi, das lohnt sich für mich nicht. Die Flaschen und ihr Transport, das ist mir zu aufwändig und teuer.“ Aber Fetz gibt nicht auf. Momentan führt er Gespräche mit einem nahegelegenen Bauernhof. „Die haben so rund 100 Liter Milch für uns pro Woche. Mal sehen, ob wir das hinbekommen in puncto Logistik und Hygiene.“
Bei aller Konsequenz, und das ist Fetz wichtig, soll das Jagdhaus nicht rückwärtsgewandt und konservativ sein. „Klar, als Wirtshaus müssen wir Fleisch anbieten, denn wer zu uns kommt, erwartet das in der Regel.“ Was aber nicht heißt, dass es nur Fleisch gibt. „Wir bieten auch ein veganes Menu an und legen uns dabei ins Zeug“, sagt Fetz. Pfifferlinge oder Steinpilze kommen dabei auf den Teller, eine Gemüseessenz oder ein veganes Dreierlei mit einer Gemüsequiche aus einem Teig ohne Ei, eine Süppchen und zum Abschluss ein Heidelbeersorbet.
Mit Leidenschaft Verantwortung übernehmen
So kommt eines zum anderen im Jagdhaus. „Ganz klar: Ich kann so ein Konzept nicht einfach irgendwo machen. Das lässt sich nicht kurzerhand kopieren und Hals über Kopf durchsetzen“, sagt Ludger Fetz. „Man braucht schon eine gewisse Dickköpfigkeit und Konsequenz. Es muss wachsen. Intern, aber auch draußen, in der Wahrnehmung beim Gast.“
Er hätte es wohl nicht riskiert, wenn er damals nicht bereits ein anderes, gut gehendes Restaurant gehabt hätte und wenn er sich der Unterstützung seiner Familie nicht sicher gewesen wäre.
Fetz zieht die Schultern hoch, als wolle er sich entschuldigen. Das Jagdhaus sei einfach so irre hübsch gewesen, als er es damals das erste Mal sah. Ein Kleinod im Dornröschenschlaf.
Seine Frau sage gerne, das Jagdhaus sei seine Geliebte. Und, hat sie Recht? „Ja, schon“, schmunzelt Fetz. „Aber sie ist ja nur aus Holz.“