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Fermentationsprofi David Zilber: Bakterien an den Herd!

Von: Lesezeit: 6 Minuten

Niemand kann so gut mit Bakterien wie er: David Zilber ist das Posterchild des weltweiten Hypes bezüglich Fermentation. Warum er das eigens für ihn errichtete Forschungslabor im besten Restaurant der Welt aufgab – und wie er mit Tempeh, Tomatensauce und Salami die Welt retten will.

Die einen sagen: Kulinarische Revolutionen beginnen in den Sternetempeln. Heinz Reitbauer zum Beispiel. „Spitzenköche“, so der Steirereck-­Mastermind einmal, „sind Türöffner für neue Produkte. Wir haben eine Vorbildwirkung für das, was in Zukunft in unserem Land gegessen wird.“ Die anderen sagen: Stimmt nicht. Spitzengastronomie ist eine Welt für sich! Einer davon ist David Zilber. „Was in Fine-Dine-Restaurants gegessen wird“, sagt er, „ist ja nur ein klitzekleiner Prozentsatz von dem, was Menschen weltweit essen.“ Und Zilber weiß es zumindest genauso gut wie Reitbauer – er kochte 15 Jahre in den besten Restaurants der Welt.

Fermentation-Profi David Zilber

Image: Raphael Gabauer

Fermentation auf Sterneküchenniveau

Kultstatus erlangte der gebürtige Kanadier als Head of Fermentation in René Redzepis Noma. Die Kulinarik-Pilgerstätte in Kopenhagen gilt vielen als bestes Restaurant der Welt. Mehrmalige Nummer eins der prestigeträchtigen World’s 50 Best Restaurant-Liste, seit Kurzem nun auch mit drei Michelin-­Sternen dekoriert, um nur zwei der wichtigsten Auszeichnungen zu nennen. Vier Jahre leitete Zilber dort das eigens für ihn errichtete Fermentationslabor. Sein Job: So lange an Fermentationstechniken für neue Gerichte zu tüfteln, bis diese gut genug waren, um in der Noma-Testküche ausprobiert zu werden.

 

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„Das konnte eine neue Art von Essig sein, oder ein Kombucha, hergestellt aus Mikroben, die wir bis dahin noch nicht gekannt hatten“, erklärt der heute 37­Jährige. „Unserer Kreativität waren keine Grenzen gesetzt, da konnte es schon sehr wild und experimentell zugehen. Wir wussten nie, was wirklich dabei herauskommt. Schmecken musste es.“ Klingt doch nach einer perfekten Spielwiese für einen mikrobenbesessenen Küchennerd – oder?

Mit Bakterien das Ernährungssystem nachhaltiger gestalten

„Es war eine sehr lehrreiche Zeit, ja“, sagt er. Und fügt an: „Es war aber auch sehr anstrengend. Und dann kam Corona.“ Für Zilber eine Zeit, in der ihm plötzlich Zweifel kamen. Wie lange würde das alles noch dauern? Wann würde er wieder in seinem Labor herumtüfteln dürfen? Und überhaupt: War der Noma-Elfenbeinturm noch der richtige Ort für ihn? „Ich habe in dieser Zeit für mich festgestellt, dass ich in einem Restaurant nicht dieses Ausmaß an gesellschaftlichen Veränderungen herbeiführen kann, die ich mir in Sachen Ernährung wünsche.“

Zilber vergleicht seine Rolle als Mister Fermentation im Noma mit der eines Punkrockers, der gegen ein etabliertes System aufbegehrt. „Heute weiß ich: Dieses System von innen her zu transformieren, kann viel mehr bewirken.“ Genau das macht Zilber seit Herbst 2020 bei Chr. Hansen. Und zwar als Food-Scientist. Aber wie?

 

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Unser Ernährungssystem ist nicht nachhaltig. Es wird zu viel weggeschmissen, die meisten Produkte hinterlassen einen viel zu großen ökologischen Fußabdruck, und noch dazu schrumpfen die Erträge der Landwirtschaft.<span class="su-quote-cite">David Zilber </span>

Die etwas andere Datenbank

Chr. Hansen ist ein dänisches Biotechnologieunternehmen mit Sitz in Hørsholm. Es gehört zu den größten Entwicklern von Lebensmittelkulturen und Enzymen. Die liefert es an große Lebensmittelkonzerne, darunter Unilever oder Coca­Cola. Die wiederum stellen damit ihre Produkte her.

„Rund eineinhalb Milliarden Menschen ernähren sich täglich von Produkten, die Kulturen von Chr. Hansen enthalten“, sagt Zilber. „Von Bier über Salami bis hin zu Wein, Brot oder fermentiertem Gemüse ist alles dabei.“ Die Verkaufsschlager sind fermentierte Milchprodukte, hauptsächlich Joghurt und Käse.

 

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„Das Unternehmen unterhält eine Sammlung von über 40.000 Bakterien, die für Lebensmittel verwendet werden können. Das ist mit Abstand eine der größten Sammlungen der Welt.“ Und genau hier kommt Zilber mit seinen Fermentationsskills ins Spiel. In seinem neuen, eigenen Labor tüftelt er zusammen mit einem Team hochrangiger Wissenschaftler an einigen dieser 40.000 Bakterien. Wie können sie am besten eingesetzt werden, um pflanzliche Produkte herzustellen, die die weltweite Ernährung gesünder und nachhaltiger machen könnten?

„Unsere Nahrungsmittelproduktion ist nicht nachhaltig“, sagt Zilber. „Zu viel wird weggeschmissen. Die meisten Produkte hinterlassen einen viel zu großen ökologischen Fußabdruck. Die Erträge der Landwirtschaft schrumpfen. Es wird zu viel Fleisch gegessen. Und nur eine Handvoll Konzerne kontrollieren die gesamte Lebensmittelindustrie.“ Zilbers Ziel: „Gemüse so verdammt lecker zu verarbeiten wie nur möglich, und das mit Hilfe von Bakterien.“ Aber was genau macht Fermentation so zukunftsträchtig? Warum ist sie gesünder? Und warum so nachhaltig?

 

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Mikroben als Bestseller

Das Fermentieren ist eine der ältesten Kulturtechniken der Menschheit. Spätestens seit der landwirtschaftlichen Revolution vor rund 13.000 Jahren soll sie den Menschen geholfen haben, verderbliche Lebensmittel haltbar zu machen. Einer der frühesten Theoretiker dieses archaischen Verfahrens, Louis Pasteur, bezeichnete es im 19. Jahrhundert als „Leben ohne Luft“. Das Bild von Einmachgläsern, in denen die sogenannte „kontrollierte Gärung“ passiert, prägt seither unser Bild von fermentierten Lebensmitteln.

Doch gerade in den vergangenen Jahren hat sich viel getan. Heute versteht man unter dem Schlagwort Fermentation die „Umwandlung von Lebensmitteln durch Mikroorganismen – seien es Bakterien, Hefen oder Schimmelpilze“. So jedenfalls steht es in der Fermentationsbibel „Das Noma-Handbuch Fermentation“, das David Zilber 2019 zusammen mit René Redzepi veröffentlicht hat. Das Buch wurde ein Bestseller. Heute steht es in jeder Restaurantküche, die etwas auf sich hält, es gilt als gastronomisches Standardwerk. Zilber gibt darin auf zeitgemäße Art und Weise sein über Jahre erworbenes Wissen über Fermentation weiter. Steinpilzsaft, Heu­schrecken ­Garum, Holunderwein – mit Kreationen wie diesen wurde Fermentation plötzlich hip.

 

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Und von wegen Leben ohne Luft: An der Schnittstelle zwischen Naturwissenschaft, Handwerk und Kunst zeigt Zilber in seinem Buch, wie wichtig Luftfeuchtigkeitsgrade für Standardrezepturen wie Sojasaucen oder Essige sind. Da wird gerührt, gekostet, Luft rein- und wieder rausgelassen. „Heute würde ich sagen: Mit dem Buch habe ich wirklich etwas bewirkt, auch außerhalb der vier Wände des Noma“, sagt Zilber. Warum aber wird ein Buch über Fermentation ausgerechnet heute ein weltweiter Best­seller? „Ich habe da eine ganz simple Theorie: Es ist die vielleicht letzte wirklich analoge Tätigkeit auf der Welt“, antwortet Zilber. Tatsächlich: Während allgegenwärtige Bildschirme alles und jeden verfügbar machen, ist Fer­ mentation eine durch und durch organische Tätigkeit. Ihre Uhren ticken anders. Was heißt das?

Unserer Kreativität waren keine Grenzen gesetzt. Da konnte es schon sehr wild zugehen. Wir wussten nie, was dabei herauskommt. Schmecken musste es!<span class="su-quote-cite">David Zilber über seine Zeit als Head of Fermentation im Noma </span>

Auslaufmodell Pasteurisierung?

Bakterien sind die Keyplayer der Fermentation. Ihre Wirkung lässt sich am Beispiel des Sauerkrauts wohl am einfachsten erklären: Sie befinden sich bereits auf dem rohen Kraut. Durch die Zugabe von Salz und fehlenden Sauerstoff kann vermieden werden, dass sich die für den Menschen unverdaulichen Bakterien vermehren. Sie würden das Kraut nicht fermentieren, sondern verderben.

Ein Mann der im Fermentationslabor arbeitet

Image: AdobeStock | Zamrznuti tonovi

Die „guten“ Bakterien hingegen machen sich daran, Zucker und Stärke im Kohl aufzufressen. Sie produzieren sogenannte Milchsäure. Diese verleiht dem Sauerkraut seinen charakteristischen, sauren Geschmack und macht es lange haltbar. Außerdem setzen sie eine Unmenge an Inhaltsstoffen frei, die für den Menschen von unschätzbarem Wert sind: Vitamin C, B 2, B 12, Folsäure, aber auch sogenannte Probiotika. Das sind Bakterien, die besonders der Darmflora zugutekommen. Und nachdem diese etwa 60 bis 80 Prozent unseres Immunsystems kontrolliert, können die aus der Fermentation entstandenen Bakterien einen Großteil der Immunantworten im menschlichen Körper positiv beeinflussen.

Die Krux an der Sache: Viele industriell hergestellten Fermentationsprodukte – dazu zählt auch Sauerkraut – werden pasteurisiert, also kurz auf bis zu 75 Grad Celsius erhitzt, um sie länger haltbar zu machen. Nur: Erstens gehen dabei viele Vitamine und Probiotika verloren. Und zweitens ist die Haltbarkeit durch die Pasteurisierung immer noch viel zu kurz. Alleine in der EU werden rund 20 Prozent aller Joghurts weggeworfen – die meisten davon wegen des Haltbarkeitsdatums. „Die richtigen Bakterien, richtig eingesetzt, könnten uns dabei helfen, bei vielen Lebensmitteln die Haltbarkeit massiv zu verlängern, und das idealerweise ganz ohne Pasteurisierung“, sagt Zilber. „Und dann geht es natürlich auch um den Geschmack. Das muss alles ineinandergreifen.“

Revolution aus der Dose  – Fermentation steht erst am Anfang

Und das tut es bei den ersten Produkten auch schon, an denen Zilber tüftelt. „Ich arbeite seit Langem an Tempeh“, verrät er. „Mithilfe von mehreren kombinierten Milchsäurebakterien haben wir den für viele etwas erdigen, herben Geschmack dieses Produkts umgewandelt in etwas viel Reduzierteres, Ansprechenderes, das der Sojabohne mehr Geschmack verleiht. Außerdem sind wir auf dem besten Weg, dadurch das wertvolle Vitamin B 12 in ausreichender Menge in den Tempeh zu bringen. Dieses Vitamin ist ansonsten vorwiegend in tierischen Produkten enthalten. Pflanzenbasierte Produkte werden da aufholen müssen.

 

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“Dann wäre da auch noch die Tomatensauce aus der Dose. Mithilfe eines einzigen Milchsäurebakteriums, der richtigen Temperatur und ausreichend langer Fermentationszeit – die genauen Angaben sind natürlich geheim –, erhält diese Tomatensauce einen erstaunlich herzhaften, an gereiften Parmesan erinnernden Geschmack. „Sollte diese Tomatensauce es schaffen, in großen Mengen produziert zu werden, dann würden von heute auf morgen Millionen von Menschen eine leckerere und noch dazu gesündere Tomatensauce voller Probiotika auf ihrer Pizza oder in ihren Nudeln essen.“

Apropos Pizza: Momentan tüftelt Zilber auch an einer pflanzenbasierten Salami. „Diese typischen, dunkel-salzigen Aromen können alle durch die richtige Fermentationsmethode auch ganz ohne Fleisch hergestellt werden“, ist Zilber überzeugt. Wie lange das dauern wird, bis er ein zufriedenstellendes Ergebnis zustande bringt? Zilber will sich nicht festnageln lassen. „Vergessen wir nicht“, gibt er zu bedenken, „bis heute weiß niemand, wie viele Bakterien sich auf diesem Planeten tummeln. Man geht von mindestens einer Billion aus. Davon wiederum kann man schätzungsweise rund ein Prozent für Fermentationszwecke kultivieren. Wir stehen also gerade erst am Anfang.“

Wir wissen noch immer nicht, wie viele Bakterien es auf unserem Planeten gibt. Was das Fermentieren angeht, steht nur fest: wir stehen gerade erst am Anfang.<span class="su-quote-cite">David Zilber blickt mit großen Erwartungen in Richtung Zukunft </span>
<strong>Kurzportrait - DAVID ZILBER</strong>
  • 1985 geboren, begann David Zilber mit 18 Jahren eine Kochlehre in seiner Heimatstadt Toronto. Nebenbei besuchte er regelmäßig naturwissenschaftliche Vorlesungen an der Uni.
  • Nach mehreren Stationen in der Welt der Spitzengastronomie: Zilber war unter anderem Sous Chef im berühmten Hawksworth – stieß er 2014 zur Küchenbrigade des Noma ­Restaurants in Kopenhagen.
  • Zwei Jahre später ernannte in René Redzepi zum Head of Fermentation. In einem eigenen Labor forschte Zilber mit mehreren Mitarbeitern an Fermentationstechniken, die die Küchenlinie des Noma wesentlich mitbestimmen sollten.
  • Seit Mitte 2020 ist David Zilber Food Scientist beim dänischen Biotechnologie-­Unternehmen Chr. Hansen.

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