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„If you can’t beat them, eat them“

Von: Lesezeit: 5 Minuten
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Bouillabaisse von der Wollhandkrabbe, Wildbret von der Nilgans, Gulasch von der Nutria: Wie wäre es, wenn wir das ökologische Gleichgewicht wiederherstellen, indem wir zum Fressfeind invasiver Arten werden?

Sie reisen als blinde Passagiere in Frachtflugzeugen und Schiffen oder überwinden als Haus- und Nutztiere kontinentale Grenzen – und suchen dann das Weite. „Invasive Arten“ nennt man Tier- und Pflanzengattungen, die ihr ursprüngliches Habitat verlassen und andere Lebensräume erobern. Als störend werden sie vor allem deswegen empfunden, weil sie an ihrem neuen Wohnort heimische Arten bedrohen. Die Nordamerikanische Schmuckschildkröte ist so ein Fall, aber auch der Götterbaum und der Japanische Staudenknöterich. Genau wie einige Krebstiere, darunter die Chinesische Wollhandkrabbe, der Kamberkrebs und der Rote Amerikanische Sumpfkrebs. Letztgenannter stammt aus dem Golf von Mexiko und der Mississippi-Niederung, fühlt sich aber auch in Berlin pudelwohl. Insbesondere im Tiergarten, aber auch im Britzer Garten, einem Park im Süden der Stadt. Tatsache ist: Der Rote Amerikanische Sumpfkrebs schmeckt hervorragend. Fest und zart ist sein Fleisch und ganz ähnlich dem des Hummers.
Diese Tatsache hat ein junges Trio aus Berlin zu dem Schluss gebracht: Wenn wir die invasiven Arten nicht verdrängen können, sollten wir sie aufessen! Gesagt, getan. Vor knapp zwei Jahren gründeten der Unternehmensberater Lukas Bosch, seine Frau Juliane Bosch und der Gastronom Andreas Michelus ihr Unternehmen Holycrab!, mit dem sie seither „Essen für Plagitarier“ machen.
KTCHNrebel sprach mit Lukas Bosch über die Idee des hyperlokalen Gourmet-Streetfoods, über den Sinneswandel in Bezug auf „Essbarkeit“ und die Frage, ob wir beim Verzehr invasiver Arten Genuss und ethisches Handeln in einem ökologisch-kulinarischen Win-win-Szenario vereinen können.

Andreas Michelus, Lukas und Juliane Bosch sind die Gründer der HolyCrab Food Trucks, einem erfolgreichen Gastro Start ups.

„Holycrab“ Gründer Andreas Michelus, Lukas und Juliane Bosch | Image: FoodFrames

Ihr seid neu im Gastro-Biz, konntet mit eurer Idee, hyperlokales Gourmet-Streetfood anzubieten, aber direkt den Deutschen Gastro-Gründerpreis 2019 gewinnen. Wart ihr zur richtigen Zeit am richtigen Ort?

Ja, da lag wohl etwas in der Luft. Denn tatsächlich haben wir uns bis dato mit Unternehmensberatung und Zukunftsforschung befasst. In diesem Zusammenhang interessieren wir uns natürlich generell für die Möglichkeiten gesellschaftlicher Innovation. 2018 sind wir in einer Berliner Regionalzeitung auf einen Artikel über die Invasion des Roten Amerikanischen Sumpfkrebses gestoßen und ein befreundeter Koch erzählte uns, dass diese Krebsart in Louisiana Kultstatus genießt. Da witterten wir, dass dahinter mehr stecken könnte. Uns reizte der Widerspruch.

Der Widerspruch, dass der Krebs hierzulande einerseits als Schädling gilt, andererseits als Köstlichkeit?

Genau. Zum einen haben wir eine Delikatesse, die auch nach Deutschland importiert wird. Zum Beispiel aus Israel, aber auch aus China. Wenn du bei Ikea zur richtigen Jahreszeit ins Tiefkühlregal schaust, findest du diesen amerikanischen Sumpfkrebs dort auch – dann allerdings aus chinesischen Zuchtbetrieben. Ein noch absurderer Fall ist die Wollhandkrabbe. Sie ist in China ein absolutes Luxusgut. Man zahlt umgerechnet 40 US-Dollar pro Stück für eine große Krabbe aus Wildfang. In China gibt es zu wenig wild lebende Bestände, ursächlich ist die schlechte Gewässerqualität, deshalb werden die Tiere gezüchtet. Und bei uns tritt die Wollhandkrabbe massenhaft auf! Sie ist also auch ein Indiz für unsere gute Wasserqualität. Tatsächlich erwägt man in China bereits, die Krabbe zu reimportieren.

HolyCrab trifft mit seinem hyperlokalem Gourmet-Streetfood-Angebot den Nerv der Zeit.

Image: FoodFrames

Wie sah euer Konzept aus?

Am Anfang standen wie gesagt die Krebse. Zusammen mit zwei befreundeten Köchen haben wir sie besorgt und probegekocht. Bei unserer Recherche nach weiteren invasiven Arten sind wir auf Wildschwein, Waschbär, Nilgans, Kanadagans und den Japanischen Staudenknöterich gestoßen – allesamt mit großem Potenzial in der Küche. Aber wir hatten ja kein Restaurant, keine Familientradition in der Gastronomie, und haben wir uns daher gefragt: Wie schafft man es, möglichst leichtfüßig erste Schritte in diesen Bereich zu gehen? Daraus entstand der Foodtruck-Gedanke. Vorteil: Man ist variabel, kann klassisches Streetfood machen, aber auch im Catering arbeiten. Durch unsere Trend-Vorträge konnten wir gute Synergien herstellen. Der von uns thematisierte Perspektivwechsel im Kopf blieb nicht länger nur Theorie, wir konnten diesen auch durch die entsprechende Verkostung und eine lukullische Erfahrung beleben. Denn das sinnliche Erleben fehlt ja oft bei Vorträgen zum Thema Zukunft und Innovation.

Insbesondere invasive Arten, wie z.B. Krebse kommen im HolyCrab auf den Teller.

Image: FoodFrames

So nach dem Motto: Wir essen jetzt mal ein paar Plagen? Seid ihr da nicht auch auf Skepsis gestoßen?

Die Grenzen zwischen „eklig“ und „genießbar“ haben sich inzwischen verschoben – viele waren schon einmal in Asien, manch einer hat Insekten gekostet. Da hat sich einiges getan. Zudem hatten wir mit Andreas, der hier in Berlin im Hotel de Rome und im Hotel am Steinplatz gearbeitet, aber auch im Mainly für die VW-Vorstände gekocht hat, einen Chef aus der gehobenen Gastronomie an Bord. Das hat sicherlich zusätzlich Berührungsängste abgebaut. Es ist jedoch enorm schwierig, mit diesem Anspruch Preise anzubieten, die im Streetfood-Bereich akzeptiert werden. Denn auch wenn es „Plagen“ sind, sind die Produkte ja mitnichten umsonst. Wie sprechen hier von Reusenfischerei, die ist ziemlich aufwändig. Die Flusskrebse haben wir selbst gepult, hier in Berlin.

Es verdirbt also niemandem den Appetit, wenn ein Lebensmittel auf den Teller kommt, das als Plage bezeichnet wird?

Gegenfrage: Was ist überhaupt eine Plage? Dazu gibt es in der Wissenschaft zwei Perspektiven. Im Anthropozän, in dem wir leben, ist das Ökosystem in ständiger Transformation – durch weltweiten Tourismus, Umwelteinflüsse, den Klimawandel. Diese Veränderungen kann man als gegeben annehmen und sich sagen: Oh, was haben wir denn da? Das scheint neu zu sein. Wie schmeckt denn das? Bei diesem Ansatz kommt das Wort Plage überhaupt nicht vor. Und dann gibt es die konservative, auf Bewahrung ausgelegte Weltsicht. Wir sehen Veränderungen im Ökosystem und wenn wir sie nicht bekämpfen können, sprechen wir von einer Plage. Es ist also Ansichtssache.

Beim Berliner start up HolyCrab werden Tiere, die als Plagen gelten verkocht.

Image: Nino Halm

Euer Foodtruck wurde begeistert aufgenommen – es gab „Pasta Frutti di Plage“ und „Crabs ’n’ Cripples“ – dann kam Corona.

Ja, das stimmt. Aber die Pandemie hat uns in eine Richtung getrieben, in die wir ohnehin wollten. Sowohl in puncto Wirtschaftlichkeit als auch in Sachen Ökologie. Denn wir hatten uns bereits vorher gefragt: Wollen wir ein freakiges Restaurant auf Rädern sein, das einzige der Welt, das invasive Arten auf den Teller bringt? Oder wollen wir einen größeren Einfluss haben? Wir entschieden uns für Letzteres: Wir wollten in größerem Maßstab positive Impulse setzen, als das mit einem Foodtruck möglich ist, und haben uns entschieden, uns mehr im Bereich Produkte zu engagieren, genauer gesagt, eine Krabbenessenz zu entwickeln. Mit J.Kinski haben wir einen Partner gefunden, der es uns ermöglicht, im Joint Venture Produkte aufzulegen. Man kennt J.Kinski vielleicht – sie haben mit Bone Broth angefangen, als der Hype gerade losging.

Wie wird die Krabbenessenz hergestellt?

Für die Krabbenessenz kochen wir die Chinesischen Wollhandkrabben 24 Stunden im Kessel – unter anderem mit Biotomaten und Zwiebeln. In diesem Jahr möchten wir eine Gastro-Variante machen, die ganz pur ist, reine Krabbe, ohne Gemüse, die jedem Küchenchef die Möglichkeit gibt, das Produkt ganz ohne geschmackliche Prägung einzusetzen. Die Krabbenessenz ist eine tolle Nische, aber sie ist definitiv eine Nische. Krustentiere an sich sind in Deutschland schon eine Nische.

HolyCrab verkauft neben Streetfood auch Krabbenessenz aus der chinesischen Wollhandkrabbe.

Krabbenessenz | Image: Holycrab

Habt ihr noch ein anderes Produkt im Portfolio?

Ja, eine Zanderessenz. Das klingt vielleicht wie ein Widerspruch, da der Zander eigentlich eine bedrohte Fischart ist. An der Müritz allerdings, von wo wir ihn beziehen, gibt es gesunde Bestände. Außerdem werden vom Zander meist nur Filet und Bäckchen verwendet werden, der Rest wird weggeworfen oder zu Fischmehl verarbeitet, was bei einem hochwertigen Speisefisch sehr schade ist. Natürlich können viele Rohstoffe zu Ressourcen werden. Beispielsweise wissen die Bäcker meist nicht wohin mit ihren unverkauften Dinkelprodukten. Bislang wird in erster Linie Weizen zu Paniermehl verarbeitet. In der Ökowelt ist Dinkel aber ein sehr hoch geschätztes Getreide. Wir denken darüber nach, auch Dinkelpaniermehl herzustellen. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs von dem, was möglich ist. Als hochzivilisierte Menschheit sollten wir es doch schaffen, bestimmte Kreisläufe in der Lebensmittelindustrie wahrzunehmen – und sie dann auch zu schließen. Das wäre nicht nur nachhaltig, sondern für alle Beteiligten ein echtes Win-Win-Szenario.

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